Januar
Das Jahr begann früh. Durch den zeitigen Pflichtspielstart meiner U18 ging es bereits eine Woche nach Silvester wieder auf den Platz. Nur drei Wochen waren Zeit bis zum Auftakt. Dass der Hamburger Winter ab Januar nicht kalkulierbar ist, erschwerte die Aufgabe, dass ich nach der kurzen Winterpause noch nicht wieder voll aufgeladene Akkus besaß, ebenfalls. Immerhin: Meine Herrenmannschaft sollte erst zwei Wochen später wieder einsteigen.
So blieb die Doppelbelastung zunächst aus. Dafür aber nicht das miese Wetter. Schnell lag der Platz voller Eis und auch Schnee. Improvisieren war angesagt. Intervallläufe im Wald waren möglich, aber nicht dauerhaft die einzige Lösung. Deshalb funktionierte ich den Kabinentrakt so um, dass ein Kraft- und Ausdauerzirkel möglich war. Das ganze wiederholte ich auch einige Tage später bei den Herren.
Ohne Testspiel ging es ins erste Pflichtspiel, direkt Pokal. Den zu gewinnen, hatten sich die Jungs vor der Saison als Ziel gesteckt. Die Hürde Achtelfinale nahm die Mannschaft trotz der geringen Praxis mühelos.
Jetzt ging es auch bei den Herren wieder los. Im Winter ist Kreativität gefragt. Fußball-Biathlon, Soccerhalle, Kleinfeld-Spiele, Boxtraining mit Motivationscoaching – all das gehört im Winter bei mir fest dazu. Große Spielformen sind aufgrund der unsicheren Wetterlage schließlich schwierig zu planen. Beispiel: Am letzten Januarwochenende fiel das Testspiel der Herren am Samstag aus. Sonntag wurde es wärmer und die A-Jugend konnte auf demselben Platz ihr Pokalspiel absolvieren.
Februar
Im Februar stabilierste sich die Wetterlage. Die A-Jugend steckte schon voll wieder im Punktspielbetrieb und holte aus vier Partien drei Siege, wobei die eine Niederlage ein herber Dämpfer war und vielleicht sogar der Knackpunkt für den weiteren Saisonverlauf.
Die Herren dümpelten durch ihre Vorbereitung. Bis auf eine Partie war kein Feuer zu erkennen. Zufall, dass in dieser einen Partie die ersten 2001er dabei waren? Da war zu erkennen, was Konkurrenzkampf auslösen kann. Vielleicht lag der Fehler aber auch bei mir. Die Doppelbelastung hatte bereits Spuren hinterlassen und das Feuer in mir loderte nur noch. Ich war nicht in der Lage, mit voller Akribie mit dem Team zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt war für den Start in den Pflichtspielbetrieb nur das Schlimmste zu erahnen.
März
Es kam anders – zunächst jedenfalls. Die Herren starteten furios mit zwei 5:0-Siegen. Doch ein maues 1:1 gegen einen Abstiegskandidaten sorgte für den ersten Dämpfer, eine 1:2-Niederlage gegen ein weiteres Kellerkind für den nächsten. Der Kader war dünn. Schon zu diesem Zeitpunkt spielten die ersten 2001er bei den Punktspielen mit.
Schließlich startete bei der A-Jugend nun der Fleckenteppich-Spielplan. Zwei Spiele im März, zwei im April, drei binnen fünf Tagen im Mai – Wahnsinn! So kann keiner seinen Rhythmus aufnehmen. Die Tendenz zeigte so auch immer weiter abwärts. Die Jungs waren parallel im Abistress und Fußball verständlicherweise nicht Priorität Nummer 1. Dazu kam, dass die Aussicht auf eine Top-3-Platzierung immer geringer wurde und auch meine Energie nicht ausreichte, um dagegen anzugehen.
April
Im April setzte sich dieser Trend fort. Zwar erreichten wir gegen einen schwachen Gegner locker das Viertelfinale im Pokal, allerdings war der Rhythmus in der Liga endgültig dahin. Das einzige Punktspiel des Monats ging daheim 0:3 verloren. Vorne ungefährlich und hinten anfällig – da half auch ein klares Ballbesitzplus nichts. Den Jungs fehlte mental und körperlich die Frische.
Bei den Herren hatte sich das Blatt hingegen wieder gewendet. Gegen den späteren Meister gab es ein 1:1, danach zwei Siege. Die Top 6 schienen wieder greifbar.
Mai
Auch weil im Mai aus den ersten beiden Partien weitere vier Zähler folgten. Doch wie so oft in der Geschichte dieser Mannschaft ging ihr am Ende die Puste aus. Zwei üble Klatschen (1:5, 2:6) waren die Folge. Spiele, die noch höher hätten verloren werden können. Die Spannung war verloren gegangen. Immer wieder dieselben Spieler mussten spielen. Viele von ihnen waren aufgrund von Verletzungen oder Urlauben nicht richtig fit. Der Substanzverlust war für mich aber eine wichtige Lehre. Die Erkenntnis, auch im mittleren Amateurbereich, einzelnen Spielern nach Abstinenz ein individuelles Training mit Schwerpunkten im Bereich Ausdauer und Athletik anzubieten, nahm ich als Ansatz mit in die neue Saison.
Zum Abschluss der Saison bei den Herren verabschiedeten wir zudem meinen Vater, der über 23 Jahre an meiner Seite war und mir bei beiden Mannschaften als Betreuer den Rücken freigehalten hatte. Papa, ich werde dir dafür ewig dankbar sein. Ein emotionaler Höhepunkt, der schnell über die schlechten Ergebnisse zum Ende der Spielzeit hinweg tröstete.
An diesem Punkt war die U18 noch lange nicht. Der Mai begann mit dem Wahnsinn, drei Spiele binnen fünf Tagen während der schriftlichen Abi-Prüfungen absolvieren zu müssen, und das mit 11 bis 13 Mann. Der traurige Höhepunkt: eine 0:6-Packung beim späteren Meister. An dem Tag spielten die Herren am Morgen auf der einen Seite der Stadt und die A-Jugend am Nachmittag auf der anderen. Aufgrund der Anstoßzeiten war ich von 9 bis 20 Uhr aus dem Haus und nachmittags nicht mehr in der Lage, an der Seitenlinie als Korrektiv zu agieren.
Nur zwei Tage nach diesem Fiasko ging es zum Pokalhalbfinale. Personell etwas erholt sollte die Partie auch noch über 120 Minuten gehen – immerhin mit dem besseren Ende für uns. Ein großartiger Moment für die Mannschaft und ein wahnsinnig tolles Gefühl, diese einmalige Geschichte (G- bis A-Jugend) mit einem Endspiel abschließen zu können.
Juni
Doch dieser Traum zerplatzte schneller als gedacht. Das Finale war für das Wochenende angesetzt, an dem mit den Herren die Abschlussreise auf Mallorca gebucht war. Zur Erklärung: Ich habe selbst lange als Spielertrainer in dieser Mannschaft gespielt, viele meiner engsten Freunde sind meine Spieler. Die Reise nach Mallorca wird lange Zeit im voraus gebucht und ist ein Highlight jedes Jahr. Ich war todtraurig, dass ich beim Finale nicht dabei sein konnte, aber auch im Nachhinein war es die richtige Entscheidung.
Dass die Jungs auch noch trotz Überlegenheit mit 0:2 verloren, milderte meine Traurigkeit nicht wirklich. Der ganz große Wurf blieb diesem Jahrgang trotz vieler Erfolge bis zum Ende verwehrt. Und so endete mit zwei weiteren Punktspielen (1 Remis, 1 Sieg) dieses Kapitel meines Lebens, das als 18-Jähriger begann und als 31-Jähriger endete.
Juli
Noch nie war mein Verlangen nach einer Sommerpause so groß wie in diesem Jahr, noch nie fiel sie so kurz aus. Zwei Wochen ohne Fußball waren auf den ersten Blick zu wenig. Auch jetzt konnte ich die Akkus nicht voll aufladen, die Sommervorbereitung für die Herren nicht komplett planen. Doch irgendwas war anders als sonst. Ich spürte wieder ein Brennen in mir, ein Verlangen nach dem Trainerdasein. Es schien beinahe so, als würde mein Trainingsanzug wieder nach mir schreien. Ich folgte den Rufen.
Es war die Vereinigung zweier Teams, die das Feuer wieder entfachte. Gleich acht meiner 2001er gingen in die Herren. Ich wusste um deren fußballerischen Fähigkeiten und wie sehr diese in einer funktionierenden Gemeinschaft zur Entfaltung kommen könnten. Mir war auch klar, dass es etwas Zeit brauchen würde. So waren Vorbereitung und Saisonstart holprig. Doch schon im Training war zu sehen, dass sich etwas verändert hatte. Die arrivierten Spieler kämpften um ihre Vormachtstellung, welche die jungen ihnen streitig machen wollten.
August
Die Saison startete als Achterbahnfahrt, ähnlich Kolossos im Heide Park Soltau. Hoch und runter. Die Ergebnisse stellten sich noch nicht ein, einige Verletzungen und diverse Urlaube sorgten für nur wenig Konstanz im Kader. Es war aber zu sehen, dass es funktionieren wird. Wir konnten im Training ganz andere Inhalte umsetzen, viel mehr Fußball spielen lassen als in den Jahren zuvor. Ich glaube, dass alle schnell gemerkt haben, dass sich etwas verändert hatte. Das Feuer, das dem Team in der Vorsaison oft fehlte, schien zurück. Sieben Punkte aus fünf Spielen waren natürlich trotzdem ausbaufähig.
September
Im September folgten abermals sieben Punkte, allerdings aus vier Partien. Die Leistungen wurden auch besser. Besonders ein 4:1-Heimsieg über einen Aufstiegskandidaten zeigte das Potenzial auf. Als wir im letzten September-Spiel ein 1:3 noch in ein 5:3 drehten, war spätestens klar, dass hier etwas entstehen würde. Im Training war so viel Feuer drin wie ewig nicht mehr. Jeder wollte spielen, jeder wollte sich beweisen. Es sollten diejenigen profitieren, die eine hohe Trainingsbeteiligung aufboten.
Oktober
Zwei Siege, zwei Niederlagen gegen Topteams. Nach 13 Spielen hatten wir nur 17 Punkte, auch wenn die Leistungen für mehr gereicht hätten. Mit dem Blick auf den Spielplan und noch sieben ausstehenden Partien bis zum Jahresende präsentierte ich der Mannschaft meine Zielsetzung: die Punktzahl verdoppeln. Bei 21 möglichen Zählern ehrgeizig aber machbar. Der Oktober endete mit einem knappen 1:0-Erfolg. Es war der Grundstein für eine einmalige Siegesserie.
November/Dezember
Es folgte der Rekord-November mit Dezember-Sahnehäubchen. Sechs weitere Siege, 17:6 Tore. Wir waren in der erweiterten Spitzengruppe angekommen. Im Training war überragende Stimmung. Entgegen frührer Einstellungen befürwortete ich die ausgelassene Kabinenatmosphäre mit Kästen nach dem Training. So eine Euphorie muss man mitnehmen, wenn man denn erkennen kann, wann die Zügel wieder anzuziehen sind.
Das tat ich und dennoch erfolgte die Rotation etwas zu spät. Auswirkungen auf die Ergebnisse hatte das aber keine. Auch wenn die Leistungen in den letzten drei Spielen schwächer wurden, standen immer drei Punkte auf der Habenseite. Selbst mit acht Mann wurde gewonnen. Auch am lezten Spieltag vor der Winterpause konnte uns eine der schwächsten Leistungen des Jahres nicht von der Siegerstraße abbringen.
Die Winterpause hätte dennoch nicht besser getimed werden können. Ich bin mir sicher, dass jeder nächste Gegner einer zu viel gewesen wäre. Wie Pep Guardiola schon sagte: Irgendwann verliert man wieder ein Spiel. Die entscheidende Frage ist nur, ob es einen aus der Bahn wirft oder nicht.
Fazit
Fast aus der Bahn geworfen hätte mich dieses intensive Jahr. Da bin ich ehrlich. Unterm Strich war es zu viel, alleine die A-Jugend zusätzlich zu Bezirksliga-Herren zu machen. Es waren aber meine Jungs, meine kleinen Brüder und die Mannschaft für eine A-Jugend verhältnismäßig pflegeleicht. Ob ich noch mal ein Juniorenteam coachen werde, weiß ich nicht. Ich bin mir aber sicher, dass es die Alterstufe 6-12 Jahre wäre. Ein tolles Alter, um Grundlagen bei Kinder zu legen.
Dass 2019 mich wieder hat Blut lecken lassen, ist der Fusion der beiden Teams zu verdanken. Ich war leer, das muss ich zugeben. Ich hatte mich in Bezug auf das Trainerdasein noch nie so gefühlt. Aber das Feuer kam zurück. Neue Reize, neue Ideen, neue Spieler, neue Möglichkeiten – das hält einen frisch.
Ich werde immer eine Mannschaft trainieren wollen, in der Spieler spielen, zu denen ich ein freundschaftliches Verhältnis habe. Der Geist ist fest in dieser Truppe verankert und wird von Generation zu Generation weitergegeben. Aber ich habe auch erkannt, dass ich manchmal personelle Entscheidungen treffen muss, die sportlich notwendig, wenngleich freundschaftlich traurig und bewegend sind. Gehe ich diesen Weg nicht weiter, wird die Stichflamme in mir schnell wieder weichen. Einen dann nur noch lodernden Coach braucht niemand mehr.
Das war’s in 2019. Kommt alle gut in 2020. Es wird das zweite Jahr mit diesem Blog sein. Ich habe damit Einiges vor und werde wie angekündigt auf Deutschland-Tour gehen. Was daraus wird, will ich noch nicht genau sagen, aber ich freue mich unendlich über die tolle Resonanz und auch das fantastische Feedback, das ihr mir gebt. Wenn jemand Fremdes mir schreibt, dass er sich in den Erzählungen wiedererkennt, bedeutet mir das alles. Guten Rutsch, ihr fußballverrückten Trainerlegenden!