Ich sehe für Nichts die Rote Karte – ein Sehnsuchts-Appell an die Schiedsrichter

Jan-Hendrik Schmidt, Trainer der 3. Herren des Niendorfer TSV, wischt sich mit der Hand übers Gesicht an der Seitenlinie.

Es ist meine 17. Saison im Herrenfußball. Die ersten Jahre als Spielertrainer, seit meinem zweiten Kreuzbandriss 2015 nur noch als Trainer. Ich bin emotional, ich kann gegnerischen Trainern, Spielern oder auch den Schiedsrichtern mal auf den Sack gehen. In all der Zeit habe ich mich aber niemals daneben benommen, jemanden beleidigt oder jemandem körperlich wehgetan. Ich bin ein Freund von Kommunikation, von Erklärungen, von Menschen, die einen in ihrer Situation sehen und sich der emotionalen Lage des Gegenübers bewusst sind. Im Fußball schlägt das Herz auf dem Platz. Man ärgert sich, man freut sich, man leidet. Mal schießt man übers Ziel hinaus, dann gibt man sich die Hand. Heute habe ich eine glatt Rote Karte bekommen – und ich möchte darüber sprechen, dass ich das nicht hinnehmen kann.

Ich halte mich selbst für eine Person, die nach abkühlender Emotion, nach sinkendem Puls und weichendem Adrenalin sich selbst hinterfragen kann. Sowohl inhaltlich im Kontext meiner Trainertätigkeit (Was habe ich falsch, was habe ich richtig gemacht?) als auch in Bezug auf meinen Umgang mit meinem Team, den Gegnern und eben auch den Schiedsrichtern. Doch dieses Mal bin ich an einem Punkt, an dem ich für mich nicht mehr damit argumentieren kann, dass die Unparteiischen einen schwierigen Job haben, dass wir Bezirksliga spielen und eben auch Bezirksliga-Schiris gestellt bekommen, dass wir froh sein müssen über jeden, der an den Wochenenden diese Tätigkeit ausübt.

Willkür sorgt für Frustrationen

All das sehe ich so, aber heute nicht. Wir haben ein Spiel verloren. Verdient. Wir spielen schlecht. Seit Wochen. Ich finde vermutlich zu wenig Lösungen, die Mannschaft setzt zu wenig um, mental ist die Saison ob der Tabellensituation seit Wochen gelaufen. Das sorgt für Frust. Klar. Heute bekommt ein Spieler beim Stand von 0:2 und einem gepfiffenen Elfmeter gegen uns die Rote Karte dafür, dass er ruft „Wir sind so schlecht“. Vermutlich gibt es eine lange Sperre wegen Schiedsrichterbeleidigung, die es nie gegeben hat. Schwierig. Schon zuvor wurden alle Reaktionen auf Pfiffe, die in einem völlig gängigen Maß erfolgten, mit Gelb sanktioniert. Darauf kann man sich natürlich einstellen im Laufe eines Spiels und das haben wir nicht, der Gegner schon. Es ist aber das xte Spiel in diesem Jahr, in dem keinerlei Nachfragen erlaubt sind, in dem jede Reaktion sanktioniert wird. Das Fass ist übergelaufen. Emotionen sollten dann sanktioniert werden, wenn sie zu häufig erfolgen, zu scharf im Ton sind, beleidigend und ähnliches. Aber Emotionen gehören dazu. Bitte lasst sie ein bisschen laufen, vor allem in einem Spiel, das überhaupt nichts derlei hergegeben hat, keine Fouls, keine Beleidigungen, keine strittigen Szenen. Schiedsrichter sollten in der Lage sein, Emotionen der Beteiligten zu evaluieren, nicht sie zu verbieten.

Nachspielzeit sorgt für Redebedarf

Als ich mich beim Stand von 0:3 darüber aufregte, dass der Schiedsrichter vier Minuten bei hoher Frustration auf unserer Seite nachspielen ließ, kam er zu mir, erklärte mir warum, drehte wieder ab. „Jede Woche dasselbe“, sagte ich. Er kam erneut zu mir und zeigte mir Gelb. Berechtigt. Damit kann ich leben. Mein Co-Trainer fragte nach, warum die Gelbe Karte? Nicht aggresiv, nur lauter als normal. Dafür zückte der Schiedsrichter glatt Rot. Ich fragte nach warum – und sah ebenfalls glatt Rot. Keine Erklärung. Nichts. Glatt Rott für nichts, einfach nichts. Eine normale Nachfrage. Stell mich meinetwegen mit Gelb-Rot runter. Das wäre auch maßlos überzogen, aber okay, damit hätte ich leben können. Erkläre wenigstens, warum du was machst.

Nach dem Abpfiff wollte ich mit dem Schiedsrichter sprechen, fragte ihn ruhig, warum er mir Rot gegeben hat. Keine Antwort, keine Erklärung. Jetzt werde ich vermutlich gesperrt, vielleicht sogar mehr als ein Spiel. Für absolut nichts.

Ich hätte aufhören müssen, etwas zu sagen. Mein Co-Trainer hätte nicht mehr nachfragen dürfen. Ja, im Nachhinein muss der klügere nachgeben. In dem Moment wollten wir beide tatsächlich einfach nur wissen, wie er seine Entscheidung begründet. In welchem Universum ist das eine grobe Unsportlichkeit, eine Beleidigung, oder was sonst noch im Regelwerk steht. Wie hätte ich diese Form der Konsequenz erahnen können?

Was mich traurig macht: die Außendarstellung. Auf den ersten Blick werde ich meiner Vorbildfunktion nicht gerecht. Ich stand vor meinem Team, wollte Verantwortung für mein Handeln übernehmen. Aber ich konnte nicht mehr sagen, dass ich nichts gemacht habe. Alle wussten das – und doch fühlt es sich beschissen an.

Ich habe keine Lust, mir immer wieder erzählen lassen zu müssen, dass Emotionen verboten sind. Dann kann ich aufhören mit diesem Sport. Wirklich.

Es gibt auch positive Beispiele

Zwei positive Beispiele: Auswärtsspiel in der Hinrunde. Foul an unseren Stürmer. Taktisch. Klar Gelb aus meiner Sicht. Ich ärgere mich. Keine Reaktion. Der Ärger kann dadurch schon abebben. Dann der Halbzeitpfiff. Ich frage nach. Der Schiedsrichter erklärt mir seine Sicht der Dinge. Ich bleibe anderer Meinung, aber verstehe seine Perspektive und schätze seine Art der Kommunikation.

Heimspiel. Giftiger Kick, aggressiver Gegner. Ähnlich wie heute gibt es für jede Reaktion die Gelbe Karte. Sofort. Wir stellen uns darauf ein, werden ruhiger. Nach dem Spiel kommen der Schiedsrichter und ich ins Gespräch. Ich frage nach, warum es immer direkt Gelb gab. Er erklärt mir, dass er beiden jüngeren Assistenten das Spiel einfacher machen wollte, ihnen zeigen wollte, dass hier schnell Ruhe ist. Ich bin zwar anderer Meinung, dass man so ein Spiel leiten sollte, aber verstehe seinen Ansatz. Wir plaudern noch. Top. Gute Kommunikation.

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Ich weiß, ich bin manchmal schwierig, verlange kommunikativ einiges von anderen. Ich weiß, ich kann nerven. Aber ich bin nicht unfair, nicht beleidigend. Ich bin einfach emotional. Lasst mich emotional sein. Lasst Fußballer emotional sein. Ihr sollt euch nicht alles gefallen lassen. Aber macht doch nicht aus einem emotionslosen Amateurkick eine Karten-Party, nur weil ihr da Bock drauf habt. Bitte. Mir ist es auch egal, ob ich mit dieser Offenheit hier an anderer Stelle anecke, dass mir das vielleicht sogar nachteilig ausgelegt wird. Aber ich kann Willkür und Ungerechtigkeit nicht ertragen. Nie.

Emotionale Belastbarkeit: Wie sehr muss ich als Amateurtrainer meine Gefühle kontrollieren?

Trainer Jan-Hendrik Schmidt mit verzweifelter Geste an der Seitenlinie. Er schreibt den Blog Mein Leben im Trainingsanzug

Es ist tatsächlich fast ein dreiviertel Jahr her, dass ich mich hier ausgiebig über mein Trainerdasein geäußert habe. Lange Zeit dachte ich, es wäre auf der Prioritätenliste weiter unten anzusiedeln und bei zu großen zeitlichen Engpässen streichbar, jetzt habe ich gemerkt, dass mir die Auseinandersetzung mit dem Fußball auf dieser Plattform fehlt und dass sie eigentlich zu meinem Seelenheil beiträgt. Viel passender dazu könnte mein Anliegen gar nicht sein. Es geht um die emotionale Belastbarkeit als Trainer. Ein Thema, das viele Facetten hat, und vielleicht gerade im Amateurfußball etwas zu kurz kommt.

Gerade im letzten Training hatte ich einen Moment, in dem meine emotionale Belastbarkeit im Grenzbereich lag. Mit viel Hingabe und Leidenschaft wollte ich meiner Mannschaft Verbesserungen fürs Spiel in die Tiefe an der Taktiktafel aufzeigen. Dafür hatte ich die Übung unterbrochen. Wer mich hört, spürt sofort, dass mir viel daran liegt, dass die Jungs im gemeinsamen Spiel besser werden. Die volle Aufmerksamkeit meiner Spieler hatte ich aber nicht – und das tat weh. So weh, dass ich die Kontrolle über meine Gefühle verloren habe. Nichts schlimmes. Ich war nicht laut, eher fordernd, aber in einer Art von Kommunikation, die als Führungsperson eher wehleidig und klagend rüberkommt. Und da stellt sich mir die Frage: Wie viel Inneres darf ich als Amateurtrainer nach außen kehren?

Darf ich Resonanz vom Team einfordern?

Zum Hintergrund: Meine Mannschaft, die in Hamburgs Bezirksliga spielt, ist in Sachen Spielermaterial so gut wie vielleicht noch nie. Das hat man in vielen Phasen der Saison gesehen. Leider fehlt es sehr oft an Mentalität. An die Grenze zu gehen, unbedingt besser werden zu wollen, das ist eine große Mangelerscheinung unseres Teams. Zu oft in dieser Saison waren wir an einem Punkt wie jetzt gerade, an dem wir uns deshalb selber ein Bein stellen. Und wenn ich dann zusätzlich das Gefühl habe, dass ich versuche, die Leidenschaft fürs Besserwerden aufzubringen, diese auch authentisch fülle, dann verlange ich ein gewisses Maß an Resonanz.

Irgendwie scheint der Podcast der DFB-Akademie „Trainer*innen-Kompetenzen im Profifußball“, aktuell immer genau meine Probleme zu behandeln. Zuletzt war es die Kompetenz Disziplin, die mit Christian Streich, Trainer des SC Freiburg, besprochen wurde, jetzt eben jene emotionale Belastbarkeit. Eintracht Frankfurts Chefcoach Dino Toppmöller liefert in der Folge einblicke. Es sind seine Worte, die mich nachdenklich machen. Dass man eben nicht die Contenance verlieren sollte, sondern in der Kommunikation mit seinen Spielern emotional belastbar bleibt.

Toppmöller und Co. sprechen viel von Authentizität

Gilt das aber auch für Amateurtrainer? Muss ich nach einem langen Arbeitstag, nach Familienzeit mit Frau und Kind, auch auf dem Trainingsplatz immer die Kontrolle behalten? Nicht falsch verstehen: Ich habe mich ja nicht verloren in irgendeiner überzogenen Wutrede. Aber meine Leidenschaft als Maßstab für die Spieler zu setzen, ist zumindest diskutabel. Eine vollumfängliche Antwort auf meine Frage habe ich nicht. Toppmöller selbst liefert aber einen Ansatz: Authentizität. Diese Kompetenz wird übrigens auch von den meisten anderen Trainerpersönlichkeiten im Podcast immer und immer wieder genannt. So lange die Spieler nicht das Gefühl bekommen, man spiele eine andere Rolle, sind auch leichte Ausbrüche aus der eigentlichen in Ordnung.

Doch emotionale Belastbarkeit umfasst nicht nur die Interaktion mit dem eigenen Team. Es geht auch um den Umgang mit seinem Staff, mit dem Verein, mit Gegnern und Schiedsrichtern. Und da merke ich aktuell doch immer wieder, dass ich an meine Grenzen komme – und dass diese Grenze auch gerade deshalb erreicht ist, weil ich mich anders als vielleicht in den ein, zwei Saisons zuvor wieder mehr mit Inhalten auseinandergesetzt habe, mehr Input gebe. Das darf eigentlich nicht mit einer Erwartungshaltung an die Spieler einhergehen, aber ich muss zugeben: irgendwie tut es das.

Emotionale Belastbarkeit für mich als Trainer erreicht

Und hier ist eben meine Grenze erreicht. Ich halte mich für einen Trainer, der klare Vorstellungen hat und diese auch offen und deutlich kommuniziert. Ich weiß auch, wie Gruppendynamiken funktionieren, dass für eine gewisse Mentalität auch die Mischung an Charakteren wichtig ist. Aber ich habe nunmal die Jungs, die da sind. Und ich wünsche mir so sehr, dass es einen dauerhaften Push im Team gibt, einen Impuls von Spielerseite aus, bei dem ich das Gefühl habe, die Jungs bringen sich emotional und inhaltlich-rational selbst auf ein Level, konstanter in ihren Performances sein zu wollen, gieriger im Training, sich gegenseitig antreibender, wenn wir die Kabine verlassen und auf dem Platz arbeiten.

Ich weiß gerade nicht mehr, was ich noch tun kann, um diese Entwicklung weiter zu fördern. Und eben auch deshalb ist die Grenze meiner emotionalen Belastbarkeit erreicht.

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Das mindert nicht meine eigene Leistungsbereitschaft. Hilfestellung zu geben, Spieler und Menschen zu fördern und zu entwickeln, macht mir an diesem Job unglaublich viel Spaß. Und doch wünschte ich manchmal, so wie eben jetzt, ich wäre damit ansteckender.

Zum Saisonstart fehlen wieder viele Spieler: Warum der Spielplan kompletter Irrsinn ist

Amateurfußball Hamburg NIendorfer TSV 3

Die Saison steht vor der Tür. Noch eine Woche bis zum ersten Punktspiel. Und wie in jedem Jahr begleitet einen dieselbe Herausforderung. Plötzlich ist der halbe Kader weg. Saison für Saison habe ich mir eingeredet, dass dies auch an der Urlaubsplanung der Spieler liegt. Mittlerweile ist mir klar, dass Studenten eben ab Mitte/Ende Juli Semesterferien haben, dass Schüler in die Schulferien starten, dass Familienväter Kita-Schließzeiten berücksichtigen müssen und dass auch jeder andere im Sommer mal gerne wegfährt, wenn es sich anbietet. Es ist halt die beste Jahreszeit dafür. Der Spielplan ist schlichtweg ein Witz.

Am 7. Mai fand das letzte Punktspiel der vergangenen Saison statt. Am 28. Juli startet nun die neue Spielzeit. Was macht das für einen Sinn, die Sommerpause in einer Zeit zu haben, in der kaum jemand in den Urlaub fahren kann, und den Saisonstart so zu planen, dass viele Teams personelle Schwierigkeiten bekommen? Warum spielt man nicht bis in den Juni und startet dann irgendwann Mitte/Ende August mit der neuen Spielzeit? Vor allem hat es sich in Hamburg in den vergangenen Jahren mehr und mehr verschoben. Immer früheres Saisonende, immer früherer Saisonstart.

Kader aufblähen hilft nur temporär

Das Problem, pünktlich zum Saisonstart mit Mini-Kader zu trainieren, am Wochenende irgendwie 13-15 halbwegs fitte Spieler zusammenzukratzen, habe ich nicht exklusiv. Das ist klar. Aber macht es deshalb mehr Sinn? Wer jetzt sagt, ich solle deshalb den Kader größer machen: Spoiler, das habe ich getan. Der Bumerang trifft dann im Herbst den eigenen Hinterkopf, wenn plötzlich 26 Mann auf dem Trainingsplatz stehen und sich um die 18 Kaderplätze streiten.

Dort, wo Geld für Amateurfußball gezahlt wird, mag das nicht so sein. Aber wenn ich mehrere hundert Euro im Monat für mein Hobby bekäme, würde ich als Spieler vermutlich auch im Juni meinen Urlaub machen, was ich als Trainer übrigens genau so handhabe, damit ich dann in der Vorbereitung und zum Start da sein kann. Aber ab der Landesliga, spätestens ab der Bezirksliga zahlen nicht mehr alle beziehungsweise immer weniger Vereine. In der Kreisliga und tiefer dürfte das Problem noch größer sein, was beim Blick auf die erste Pokalrunde und die vielen Nicht-Antritte deutlich wird.

Spielplan an die Lebensrealitäten anpassen

Deshalb ist das hier ein klares Plädoyer dafür, den Spielplan zu überdenken und an die Lebensrealität von Studenten, Schülern und Vätern anzupassen. Die eine Gruppe dazwischen ist tatsächlich die einzige, die im Sommer wirklich da ist und dann erst ab September oder später urlaubt. Über Lehrer habe ich hier noch gar nicht gesprochen, aber das versteht sich ja von selbst. Passt den Spielplan bitte an!

Ein persönlicher Saisonrückblick, ein Estrella und ganz viel Erleichterung

Jan-Hendrik Schmidt, Trainer Niendorfer TSV 3. Herren, jubelt mit Heino-Gerstenberg-Pokal.

Während die Abendsonne Mallorcas auf mich nieder scheint und das dritte Estrella Galicia meine Kehle kühlt, komme ich endlich dazu, die vergangene Saison Revue passieren zu lassen. Am Ende überwiegt trotz insgesamt vieler Emotionen die Erleichterung. Die Erleichterung, nach vielen Jahren mal wieder etwas gewonnen zu haben, etwas in den Händen halten zu können, eine neue Erinnerung für die Mannschaft und sich selbst geschaffen zu haben.

Es sind nur noch wenige Minuten auf der Uhr. Das Herz pumpt im rasenden Tempo Blut durch den gesamten Körper. 2:1 ist der Spielstand, der Gegner schmeißt noch mal alles nach vorne, die Bälle fliegen in den Strafraum. Dann pfeift der sehr gute Schiedsrichter das Finale um den Heino-Gerstenberg-Pokal endlich ab. Ich renne aufs Feld, etwas wie ein Pferd im Galopp, für meine Verhältnisse schnell und doch gewohnt schlaksig. Ich laufe Richtung erster Jubeltraube. Es ist vollbracht. Für diese junge Mannschaft der erste gemeinsame Titel, für die scheidenden Alten, und die weiter machenden Älteren der erste Triumph seit neun Jahren. Ein unglaubliches Gefühl, das sich schnell mit dem Spielfilm von 16 gemeinsamen Jahren mit eben jenen scheidenden Weggefährten mischt. Als ich die beiden gefunden habe, laufen die Tränen, bei allen. Was für eine Reise. Dankbarkeit, Wehmut, Traurigkeit, Liebe folgen auf Glück, Erleichterung und Stolz. Was für eine Cocktail an unterschiedlichen Emotionen in nur wenigen Sekunden.

Endlich wieder eine normale Saison

Es war der Schlusspunkt einer intensiven Saison, der ersten „normalen“ nach einem Jahr reduzierter Staffel-Größe und zwei Jahren Corona-Abbrüchen. Eine Saison, die sich aber auch genau so angefühlt hat, wie sie sein sollte – normal. Jede Woche Wettkampf, kein zerstückelter Spielplan, keine ständigen Pausen. Immer weiter. Eine Saison, die mit dem in Summe bestmöglichen Ergebnis geendet ist.

In der Liga reichte es nach vielen Schwankungen in der Hinrunde und einer tollen Leistungs- und Ergebnissteigerung in der Rückserie zu Rang sechs. Besonders die Entwicklung innerhalb der zweiten Saisonhälfte hat mir gut gefallen. Nach großen Motivations- und Zeitproblemen in der Hinrunde habe ich mich selbst wieder fangen können, war wieder freier im Kopf, aufnahmefähiger für Inhalte. Ich denke, das hat sich ausgewirkt. Am Ende stinkt der Fisch immer vom Kopf (fünf Euro ins Phrasenschwein), und wenn der Trainer nicht am Limit agiert, tut es die Mannschaft auch nicht. Diesen Unterschied konnte man in dieser Saison sehr gut beobachten und es hat Spaß gemacht, einen gemeinsamen Weg einzuschlagen, der sichtbar ertragreich war.

Erleichterung ist die Emotion der Saison

Platz sechs in der Liga, Triumph im Pokalwettbewerb – aber warum ist Erleichterung nun die Emotionen der Saison? Ganz einfach: Weil es auch für mich immer noch eine besondere Situation ist, auf der einen Seite das sich durch Nachwuchs verändernde Private mit dem Fußballaufwand zu vereinen und auf der anderen einen seit einiger Zeit andauernden Umbruch so zu begleiten, dass die Mannschaft zukunftsfähig und wertetreu bleibt. Gerade letzeres wird durch das Schaffen neuer, gemeinsamer Erinnerungen wie einen solchen Erfolg erheblich erleichtert. Dazu kommt der Titel-Hunger nach neun Jahren ohne Erfolg auf dem Papier. Da hilft am Ende auch keine Entwicklung oder sonst etwas. Man will auch mal wieder etwas gewinnen, besonders, wenn man schon einmal oder zweimal oder wie oft auch immer in den Genuss davon gekommen ist.

Und so ist es dieses Gefühl von Erleichterung mit einer Prise Stolz, das mich überkommt, als meine beiden alten Kapitäne den Pokal gen Hamburger Himmel strecken und die Jungen im Gleichklang mitgrölen, ganz viel Wehmut und Liebe, als ich meine alten Weggefährten vor ihren Familien verabschieden darf und reichlich Lust auf weitere solcher Momente, als alle gemeinsam in einer rauschenden Nacht dafür sorgen, dass dieser Tag auch ganz sicher für immer allen im Gedächtnis bleiben wird.

Wieder Lust auf mehr

Mittlerweile läuft das vierte Estrella Galicia meinen Schlund hinunter und die Sommerpause samt Urlaub entfaltet die gesamte Wirkung. Ich habe Lust auf mehr. Lust auf den Trainingsstart, Lust auf neue Ausrüstung, Lust auf die ersten Spiele, Lust auf meine Jungs und ganz viel neue solcher Momente, die einem eben nur der Fußball geben kann.

Danke an dieser Stelle an Heinsi, Andreas, Yannik und Lars, an Henning und Tobi, an meine Kickbase-Jungs, an Benedikt und an alle, die mir durch das aufgebaute Netzwerk immer wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Weiter gehts!

Ein letzter Tanz

Wir waren Grundschüler, als du, der Nachbarsjunge, durch das Wohnzimmer meines Kumpels tobtest. Es war das erste Mal, dass ich dich habe Fußballspielen sehen. Nun bin ich dabei, wenn du es (vorerst) das letzte Mal tun wirst. Der Rahmen könnte passender nicht sein. Es ist ein Finale. An dem Ort, an dem wir gemeinsam vor neun Jahren den größten Erfolg unserer so langen gemeinsamen Zeit gefeiert haben. Warum ich das hier schreibe? Weil ich weiß, dass ich es in diesem Umfang nicht schaffen werde, wenn ich dich verabschiede.

Seit über einem Jahr denke ich darüber nach, was ich sagen könnte. Da hattest du das erste Mal dein Karriereende im Kopf. Aber du konntest noch nicht aufhören. Ein Jahr noch. Eines, in dem mir diese Gedanken immer wieder kamen, immer wieder mit Tränen in den Augen verbunden. Eines, das wir unbedingt in diesem Rahmen beenden wollten, der uns der kommende Samstag nun bietet.

Warum ist dieser Abschied so besonders? Seit 18 Jahren bist du an meiner Seite auf dem Fußballplatz. Als Mitspieler, als mein Kapitän, als verlängerter Arm, als ich nicht mehr konnte, als einer meiner besten Freunde. Du warst nie der Typ, der im Vordergrund stehen wollte, du warst nie der klassische Kapitän, aber du warst immer der Kapitän, den ich brauchte. Du hattest stets ein Gefühl für Situationen, wann du eingreifen, wann du laut werden musstest – und vor allem, wenn du mich bremsen oder mir kontra geben musstest.

Wir haben gemeinsam Spiele gewonnen. Das erste noch in der Schulmannschaft, im Herrenbereich das erste Mal auf dem Rasenplatz von Grün-Weiß Eimsbüttel. Den größten Sieg feierten wir 2014 an eben jenem Finalort, an den wir am Samstag zurückkehren werden. Wir haben auch Spiele verloren. Das erste im Finale um die Hamburger Schulmeisterschaft 2006, das erste im Herrenbereich in unserem allerersten Pokalspiel auf Asche beim FC St. Pauli am Heiligengeistfeld. Die schlimmsten Niederlagen aber folgten. Der lange Abstiegskampf im ersten Bezirksligajahr hat an uns genagt. Du warst immer da. Es ging nur gemeinsam. Am Ende mit gutem Ausgang.

Wir haben gefeiert, wir haben getrauert, wir sind durch die schlimmsten Momente gegangen, als Thorsten plötzlich nicht mehr da war. Aber auch durch die schönsten. Deine heutige Ehefrau kam dazu, wodurch ich meine kennenlernen konnte. Unsere Freundschaft wurde noch einmal enger. Wir haben unzählige Stunden über Fußball geredet, selbst als unsere Töchter auf die Welt kamen und sich der Fokus verschoben hat. Es kamen andere Themen. Themen, über die wir auch sprechen. Wir sind zusammen erwachsen geworden. All das, was ich mit Fußball verbinde, verbinde ich mit dir. Und mit deinem Abschied endet dieses großartige Kapitel endgültig. Angefangen als Hampelmänner, angekommen als Väter.

Dich gibt es seit Kleinkindertagen nur mit Fußball. Spielerpass seit 1996. Immer du und der Ball, immer zwei Tore, immer deine Jungs, immer derselbe Verein. Der größte Erfolg all dieser Zeit wird niemals ein Pokal oder ein Aufstieg sein können, sondern immer die vielen Freundschaften, diese tiefe Verbundenheit zu allen Beteiligten einer außergewöhnlichen Reise, diese ganzen Erinnerungen.

Aber lass uns noch einmal eine weitere Erinnerung hinzufügen, eine, die kaum würdiger für diesen Tag sein könnte. One Last Time, One Last Dance!

Danke, Henning!

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