Der Trainer ist nicht der Depp

Zahlreiche enttäuschte Fans drängeln sich die Treppen aus dem B-Rang der Westribüne des Volksparkstadions hinunter. Der HSV hat sich gerade 1:1 von Erzgebirge Aue getrennt. Die Ernüchterung ist also nachvollziehbar. Mit offenen Ohren lausche ich dem ein oder anderem Fan-Gespräch, bis schließlich der Satz fällt, der mich wütend macht: „Der Trainer macht so viele Fehler. Er ist nicht mehr tragbar“, sagt ein aufgebrachter HSV-Fan zu seinem Kumpel, der ihm bestätigend zunickt. Was als eine Meinung im Beton-Bauch des Volksparkstadions geäußert wird, wächst und gedeiht wie ein lästiges Magengeschwür und wird wahrscheinlich bald die öffentliche Meinung prägen können.

Ich finde dieses Trainer-Bashing unmöglich. Natürlich trägt der Trainer die sportliche Verantwortung und muss sich auch berechtigterweise unangenehme Fragen gefallen lassen. Er ist aber nicht dafür verantwortlich, dass einige seiner Spieler den Ball nicht stoppen können oder einen Pass über fünf Meter nicht an den Mann bringen. Der HSV in seiner aktuellen Situation steht aber nicht im Zentrum dieses Beitrags, vielmehr geht es um den öffentlichen ausgestreckten Mittelfinger Richtung Trainer-Gilde, der ohne Skrupel an Häufigkeit zunimmt.

Heute morgen habe ich einen Artikel im Kicker gelesen. Es geht um Bruno Labbadia, der wieder einmal angenehm klar Partei für seine Zunft ergreift und etwas sagt, dass sich sofort in mein Hirn gebrannt hat. Vereine müssen sich frei machen von der öffentlichen Meinung. Auch den Spielern tue es nicht gut, wenn die Autorität ihres Trainers im Misserfolg so schnell angegriffen werde, weil das automatisch dazu führe, dass sie relativ schnell eine Ausrede bekämen.

Wunderbar zu erkennen sind diese Phänomene aktuell in der Bundesliga bei Hannover 96, dem VfB Stuttgart und auch Schalke 04. Alle drei Vereine haben in dieser Saison den Trainer getauscht und bei allen drei Klubs hat sich kein positiver Effekt eingestellt. Es kann nicht immer nur der Trainer sein, der an sportlicher Misere Schuld ist. Natürlich passt nicht jeder Spieler mit jedem Trainer zusammen, aber in der öffentlichen Diskussion erwischt es meist zu allererst den Trainer und nicht die Spieler.

Es wäre ratsam, Trainern mehr Zeit zu geben und nicht bei der ersten signifikanten Schwächephase seinen Kopf zu fordern. Auch daran können Trainer wachsen. Dieser Appell richtet sich vor allem an die Öffentlichkeit.

Der innere 18-Jährige

Oder: wenn eine Niederlage wieder so richtig schmerzt

Es ist dieser Moment, in der sich deine Gefühlslage an der Seitenlinie komplett verändert. Quasi mit dem Schlusspfiff schießt der Gegner noch ein Tor und deine innere Lava sprudelt an die Oberfläche. Frust, Wut, Trauer – alles vermengt sich miteinander und entlädt sich in einem Moment. Du weißt nicht, wohin, fragst noch mal beim Schiedsrichter nach, warum er wie entschieden hat, weißt aber gleichzeitig, dass es falsch ist, nichts bringt und vor allem nichts mehr verändert. Du setzt dich auf die Bank, allein, starrst auf den Platz, leicht geblendet vom grellen Flutlicht. Eigentlich willst du mit niemandem sprechen und gleichzeitig mit jedem Beteiligten noch mal das gesamte Spiel durchgehen. Niederlagen oder Unentschieden, die in letzter Sekunde entstehen, schmerzen unheimlich. Mit dieser Emotion im Moment selbst und auch in den Minuten, Stunden und Tagen danach umzugehen, ist eine Kunst. Wem Fußball, seine Spieler und sein Verein etwas bedeuten, leidet und muss lernen, mit diesem Leid umzugehen. Das ist ein Prozess.

Als 18-jähriger Trainer war ich dazu kaum in der Lage, hatte Emotionen, Wortwahl und Handlungen nicht immer im Griff. Dieser innere 18-Jährige begleitet einen fast die gesamte Zeit der Trainerlaufbahn und schaut immer mal wieder vorbei. Peinliches Schiedsrichter-Gepöbel, Sündenbock-Suche in den eigenen Reihen, Hasstirade auf den schlechten Untergrund – Ausreden finden ist leicht und mindert vielleicht in der ersten Phase nach der Niederlage die Wut, doch nachhaltig ist das nicht. Schlagt dem inneren 18-Jährigen die Tür vor der Nase zu.

Ich kann nur jedem empfehlen, sich direkt nach dem Spiel mit allem zurückzuhalten. Keine elendig langen Ansprachen im Kreis oder in der Kabine nach Abpfiff, keine Diskussionen mit Gegner und Schiedsrichter. Zieht euch kurz zurück, lasst es sacken, starrt ins Nichts und sucht gegebenenfalls sogar das Weite. In zweiter Instanz hilft ein Gespräch mit Co-Trainer, Kapitän oder anderen Führungsspielern – aber erst mit einem Sicherheitsabstand von ein bis zwei Stunden. Versucht nach einem Abendspiel nicht, direkt ins Bett zu gehen. Lest ein Buch, stöbert im Internet, schaut Fernsehen, bis ihr eure Augen nicht mehr aufhalten könnt. Am nächsten Tag geht die Sonne wieder auf und ihr seht das Spiel und alle Ereignisse deutlich klarer, objektiver und vor allem mit mehr Distanz. Diese Distanz ermöglicht erst eine sachliche Analyse. Denn nur diese bringt euch und eure Spieler weiter. Jeder der Verantwortung trägt, muss sich als erstes wieder aufrichten, Zuversicht ausstrahlen und mit Dingen, die geschehen und Vergangenheit sind, abschließen.

In schwachen, emotionalen Momenten vergesse ich all dies und der 18-Jährige schaut wieder vorbei. Das ärgert mich fast noch mehr, als der Misserfolg selbst. Erst denken, dann handeln. Selbstreflektion ist der Schlüssel, um ein gutes Vorbild zu sein. Nur so zieht ihr Spieler und Umfeld nachhaltig auf eure Seite und überzeugt von eurer Sache. Stärke zeigt sich nicht im Moment des Erfolgs, sondern in der dunkelsten Minute der Niederlage. Daraus ziehe ich die intensivste Art von Motivation.

Hat Kovac sich verzockt?

Bayern-Trainer fehlt Plan B – Klopp gewinnt Trainer-Duell

Zweieinhalb Torchancen in 90 Minuten – das ist die ernüchternde Bilanz der Bayern im Rückspiel des Champions League-Achtefinales gegen den FC Liverpool. Die Konsequenz war das verdiente Ausscheiden gegen einen Gegner, der zwar außerordentlich gut aber mit alternativem Matchplan nicht unschlagbar war.

Genickbruch 0:1

Besonders auffällig: Die Spielidee der Bayern. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, mit viel Ballbesitz in der eigenen Hälfte den Gegner laufen zu lassen und somit aus dem Spiel zu nehmen. Auch wenn Liverpool von Beginn an hoch presste, hatten die Engländer bis zum 1:0 kaum Liverpool typische Ballgewinne, geschweige denn Torchancen. Und genau hier ist aus Trainersicht der Knackpunkt. Kovac‘ Plan A mit Ballbesitz und Spielkontrolle das 0:0 zu halten und auf die eine Lücke zu lauern, ging nur bis zum Rückstand auf. Das änderte sich aufgrund der Auswärtstorregel auch durch den Ausgleich nicht. Als seine Mannschaft ab dem 1:1 weiterhin gezwungen war, auf ein Tor zu spielen, fehlte ihr der Plan B und das vorher so kontrollierte Spiel glitt ihr aus der Hand. Das blieb auch in der zweiten Halbzeit so. Bis auf einen guten tiefen Ball von Ribéry auf Gnabry, dessen Hereingabe Lewandowski knapp verpasste, hatte der FC Bayern nicht eine einzige Szene im Strafraum von Gäste-Keeper Alisson Becker.

Hohes Pressing mit Flugbällen überspielen

Hohes Angriffspressing, besonders auf dem Level des FC Liverpool, kann eine Mannschaft kaum mit flachen Bällen ausspielen, auch nicht der FC Bayern München. Fast alle Bayern-Spieler sind durchgehend dem Ballführenden entgegengekommen. Dem Spiel fehlte jegliche Tiefe. Die Außenverteidiger Rafinha und Alaba waren im Aufbau tief gebunden und auch alle drei zentralen Mittelfeldspieler standen den Innenverteidigern Hummels und Süle fast auf den Füßen. Passwege Richtung Gnabry und Ribéry stellte Liverpool geschickt zu und Lewandowski war als Mittelstürmer allein auf weiter Flur. Auch wenn es vielleicht nicht immer schön aussieht und auch nicht der Stil des FC Bayern sein mag, sind Flugbälle ein probates Mittel gegen hohes Angriffspressing des Gegners. Dabei müssen es nicht immer lange Bälle weit hinter die gegnerische Abwehr sein. Vor allem Flugbälle zwischen die Linien spielen das Pressing auseinander. Selbst wenn der erste Ball nicht kontrolliert werden kann, ist der zweite Ball in der Regel frei und kann von den dann nachrückenden Spielern erobert werden. Liverpool stand durchgehend hoch und bot so viel Raum zwischen eigener Kette und Torwart. Raum, der bespielt werden muss. Kovac ist aber bis zuletzt nicht von seinem Plan abgewichen, auch nicht, als Coman ins Spiel kam. Der Wechsel von Martinez auf Goretzka kam zudem zu spät. Wenn Plan A nicht funktioniert – und das war spätestens zum Ende der ersten Halbzeit sichtbar – dann brauche ich einen Plan B. Klingt platt, ist auf dem Niveau aber unabdingbar.

Kovac kann und wird sich weiterentwickeln

Also ja, Kovac hat sich verzockt. Im Hinspiel hat sein Plan A gut funktioniert. Da war 0:0 ein gutes Ergebnis. Das Spiel zu kopieren war im Rückspiel aber spätestens mit dem 0:1 gescheitert. Die Aussagen von Lewandowski und Hummels nach dem Spiel, die durch die Blume suggerieren, dass der Plan auch ihrer Meinung nach zu defensiv ausgelegt war, bestätigen das. Zu keiner Zeit hatte man das Gefühl, dass es für Bayern ein Do-or-Die-Spiel ist. Vielleicht fehlt Kovac auf diesem Niveau etwas die Erfahrung. Es wäre schön zu sehen, dass er sich bis zum nächsten internationalen K.o.-Spiel weiterentwickeln kann. Das Zeug dazu hat er – ohne Zweifel. Die Bayern-Bosse sollten ihn auch lassen.

Klopp’s Meisterstück

Das Duell der beiden Trainer ging am Ende klar an Jürgen Klopp. Nicht, weil seine Mannschaft das Spiel gewann und zurecht im Viertelfinale steht, sondern weil „Kloppo“ sein Team perfekt gecoacht hat. Sein Coaching hat dem Gegner jegliche Möglichkeiten im Spiel nach vorne geraubt. Klopp hat seine Mannschaft bis zu letzten Minuten immer wieder hinten rausschieben und weiter aggressiv nach vorne verteidigen lassen. Während sich andere Teams – und auch Liverpool in der Vergangenheit – spätestens nach der 2:1-Führung zurückziehen und dem Gegner das Feld überlassen, hat die Mannschaft weiterhin an Klopps Schachzug festgehalten und der Trainer selbst dafür gesorgt, dass sie diesen bis zum Schlusspfiff auch nicht vergisst. Klopp matt!

Löw macht alles richtig und doch alles falsch

Sportliche Entscheidung richtig, Umsetzung stillos

Diese Nachricht bewegt Fußball-Deutschland. Bundestrainer Joachim Löw sortiert die Weltmeister Jerome Boateng, Thomas Müller und Mats Hummels aus der Nationalmannschaft aus. Richtig oder falsch? Beides!

Hummels, Müller und Boateng passen nicht mehr ins Konzept

Unbestritten haben alle drei Bayern-Spieler noch jede Menge Qualität, aber eben nicht mehr genug, um den Umbruch in der DFB-Elf mitzugestalten. Besonders Boateng und Müller spielten zuletzt eine untergeordnete Rolle in München. Schon in den letzten Länderspielen des vergangenen Jahres war zu erkennen, dass für die beiden in der Startformation der Nationalmannschaft kein Platz mehr ist. Müllers Spielstil widerspricht den neuen Anforderungen Löws an seine Offensivspieler, welche Leroy Sané, Timo Werner und Co. sichtbar erfüllen. Tempo, Dribbling und das Spiel in die Tiefe sind das, was Löw von seiner neuen Generation sehen will. Im Abwehrzentrum braucht der Bundestrainer vor allem Kontinuität, die Boateng aufgrund vieler Verletzungen im Verein kaum noch zeigen kann, wenngleich ich ihn noch immer für einen herausragenden Innenverteidiger halte. Einzig Hummels hätte Löw nicht ganz abschreiben sollen. Grundsätzlich ist dieser Schritt aber richtig.

Fragwürdiger Stil des Bundestrainers

Er vollzieht diesen aber mit viel zu vielen Nebengeräuschen. Verdienten Nationalspielern gibt man die Möglichkeit, selbst aus dem DFB-Team zurückzutreten und nimmt ihnen diese Entscheidung in ihrer Finalität nicht einfach ab. Er hatte eigentlich gar keinen Grund, die Entscheidung in aller Entgültigkeit zu verkünden. Auch der Zeitpunkt ist fragwürdig. Das letzte Länderspiel fand im November 2018 statt, das nächste in zwei Wochen. Der einzige Grund, der diesen Zeitpunkt rechtfertigt, ist, dass Löw und seine Gefolgsleute die ersten Spieltage in der Bundesliga abwarten und die Leistungskurve der drei Münchener beobachten wollten. In der Tat war kaum eine Steigerung zu erkennen, die eine weitere sportliche Berücksichtigung in der Nationalmannschaft rechtfertigt. Ob dies die Wahl des Zeitpunktes der Entscheidung geprägt hat oder nicht, wird Löw der Öffentlichkeit vielleicht noch mitteilen.

Boomerang-Gefahr für Löw

Unterm Strich aber passt dieser Schritt kaum zum Bundestrainer und es mangelt ihm etwas an Authenzität. Bekannt dafür, häufig zu lange an seinen Eckpfeilern festzuhalten, jetzt diesen Kahlschnitt zu wagen, gibt eine fette Delle in seiner Glaubwürdigkeit. Es bleibt zu wünschen, dass es sportlich die richtige Entscheidung sein wird, damit diese Geschichte nicht wie ein Boomerang Löws Hinterkopf trifft.

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