Ich sehe für Nichts die Rote Karte – ein Sehnsuchts-Appell an die Schiedsrichter

Es ist meine 17. Saison im Herrenfußball. Die ersten Jahre als Spielertrainer, seit meinem zweiten Kreuzbandriss 2015 nur noch als Trainer. Ich bin emotional, ich kann gegnerischen Trainern, Spielern oder auch den Schiedsrichtern mal auf den Sack gehen. In all der Zeit habe ich mich aber niemals daneben benommen, jemanden beleidigt oder jemandem körperlich wehgetan. Ich bin ein Freund von Kommunikation, von Erklärungen, von Menschen, die einen in ihrer Situation sehen und sich der emotionalen Lage des Gegenübers bewusst sind. Im Fußball schlägt das Herz auf dem Platz. Man ärgert sich, man freut sich, man leidet. Mal schießt man übers Ziel hinaus, dann gibt man sich die Hand. Heute habe ich eine glatt Rote Karte bekommen – und ich möchte darüber sprechen, dass ich das nicht hinnehmen kann.

Ich halte mich selbst für eine Person, die nach abkühlender Emotion, nach sinkendem Puls und weichendem Adrenalin sich selbst hinterfragen kann. Sowohl inhaltlich im Kontext meiner Trainertätigkeit (Was habe ich falsch, was habe ich richtig gemacht?) als auch in Bezug auf meinen Umgang mit meinem Team, den Gegnern und eben auch den Schiedsrichtern. Doch dieses Mal bin ich an einem Punkt, an dem ich für mich nicht mehr damit argumentieren kann, dass die Unparteiischen einen schwierigen Job haben, dass wir Bezirksliga spielen und eben auch Bezirksliga-Schiris gestellt bekommen, dass wir froh sein müssen über jeden, der an den Wochenenden diese Tätigkeit ausübt.

Willkür sorgt für Frustrationen

All das sehe ich so, aber heute nicht. Wir haben ein Spiel verloren. Verdient. Wir spielen schlecht. Seit Wochen. Ich finde vermutlich zu wenig Lösungen, die Mannschaft setzt zu wenig um, mental ist die Saison ob der Tabellensituation seit Wochen gelaufen. Das sorgt für Frust. Klar. Heute bekommt ein Spieler beim Stand von 0:2 und einem gepfiffenen Elfmeter gegen uns die Rote Karte dafür, dass er ruft „Wir sind so schlecht“. Vermutlich gibt es eine lange Sperre wegen Schiedsrichterbeleidigung, die es nie gegeben hat. Schwierig. Schon zuvor wurden alle Reaktionen auf Pfiffe, die in einem völlig gängigen Maß erfolgten, mit Gelb sanktioniert. Darauf kann man sich natürlich einstellen im Laufe eines Spiels und das haben wir nicht, der Gegner schon. Es ist aber das xte Spiel in diesem Jahr, in dem keinerlei Nachfragen erlaubt sind, in dem jede Reaktion sanktioniert wird. Das Fass ist übergelaufen. Emotionen sollten dann sanktioniert werden, wenn sie zu häufig erfolgen, zu scharf im Ton sind, beleidigend und ähnliches. Aber Emotionen gehören dazu. Bitte lasst sie ein bisschen laufen, vor allem in einem Spiel, das überhaupt nichts derlei hergegeben hat, keine Fouls, keine Beleidigungen, keine strittigen Szenen. Schiedsrichter sollten in der Lage sein, Emotionen der Beteiligten zu evaluieren, nicht sie zu verbieten.

Nachspielzeit sorgt für Redebedarf

Als ich mich beim Stand von 0:3 darüber aufregte, dass der Schiedsrichter vier Minuten bei hoher Frustration auf unserer Seite nachspielen ließ, kam er zu mir, erklärte mir warum, drehte wieder ab. „Jede Woche dasselbe“, sagte ich. Er kam erneut zu mir und zeigte mir Gelb. Berechtigt. Damit kann ich leben. Mein Co-Trainer fragte nach, warum die Gelbe Karte? Nicht aggresiv, nur lauter als normal. Dafür zückte der Schiedsrichter glatt Rot. Ich fragte nach warum – und sah ebenfalls glatt Rot. Keine Erklärung. Nichts. Glatt Rott für nichts, einfach nichts. Eine normale Nachfrage. Stell mich meinetwegen mit Gelb-Rot runter. Das wäre auch maßlos überzogen, aber okay, damit hätte ich leben können. Erkläre wenigstens, warum du was machst.

Nach dem Abpfiff wollte ich mit dem Schiedsrichter sprechen, fragte ihn ruhig, warum er mir Rot gegeben hat. Keine Antwort, keine Erklärung. Jetzt werde ich vermutlich gesperrt, vielleicht sogar mehr als ein Spiel. Für absolut nichts.

Ich hätte aufhören müssen, etwas zu sagen. Mein Co-Trainer hätte nicht mehr nachfragen dürfen. Ja, im Nachhinein muss der klügere nachgeben. In dem Moment wollten wir beide tatsächlich einfach nur wissen, wie er seine Entscheidung begründet. In welchem Universum ist das eine grobe Unsportlichkeit, eine Beleidigung, oder was sonst noch im Regelwerk steht. Wie hätte ich diese Form der Konsequenz erahnen können?

Was mich traurig macht: die Außendarstellung. Auf den ersten Blick werde ich meiner Vorbildfunktion nicht gerecht. Ich stand vor meinem Team, wollte Verantwortung für mein Handeln übernehmen. Aber ich konnte nicht mehr sagen, weil ich nichts gemacht habe. Alle wussten das – und doch fühlt es sich beschissen an.

Ich habe keine Lust, mir immer wieder erzählen lassen zu müssen, dass Emotionen verboten sind. Dann kann ich aufhören mit diesem Sport. Wirklich.

Es gibt auch positive Beispiele

Zwei positive Beispiele: Auswärtsspiel in der Hinrunde. Foul an unseren Stürmer. Taktisch. Klar Gelb aus meiner Sicht. Ich ärgere mich. Keine Reaktion. Der Ärger kann dadurch schon abebben. Dann der Halbzeitpfiff. Ich frage nach. Der Schiedsrichter erklärt mir seine Sicht der Dinge. Ich bleibe anderer Meinung, aber verstehe seine Perspektive und schätze seine Art der Kommunikation.

Heimspiel. Giftiger Kick, aggressiver Gegner. Ähnlich wie heute gibt es für jede Reaktion die Gelbe Karte. Sofort. Wir stellen uns darauf ein, werden ruhiger. Nach dem Spiel kommen der Schiedsrichter und ich ins Gespräch. Ich frage nach, warum es immer direkt Gelb gab. Er erklärt mir, dass er beiden jüngeren Assistenten das Spiel einfacher machen wollte, ihnen zeigen wollte, dass hier schnell Ruhe ist. Ich bin zwar anderer Meinung, dass man so ein Spiel leiten sollte, aber verstehe seinen Ansatz. Wir plaudern noch. Top. Gute Kommunikation.

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Ich weiß, ich bin manchmal schwierig, verlange kommunikativ einiges von anderen. Ich weiß, ich kann nerven. Aber ich bin nicht unfair, nicht beleidigend. Ich bin einfach emotional. Lasst mich emotional sein. Lasst Fußballer emotional sein. Ihr sollt euch nicht alles gefallen lassen. Aber macht doch nicht aus einem emotionslosen Amateurkick eine Karten-Party, nur weil ihr da Bock drauf habt. Bitte. Mir ist es auch egal, ob ich mit dieser Offenheit hier an anderer Stelle anecke, dass mir das vielleicht sogar nachteilig ausgelegt wird. Aber ich kann Willkür und Ungerechtigkeit nicht ertragen. Nie.

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