Erkenntnisgewinn: Darum bin ich der Trainer, der ich bin

Jan-Hendrik Schmidt, Trainer der 3. Herren des Niendorfer TSV, im Spielerkreis nach einem Spiel.

Immer wieder werde ich mit der Frage konfrontiert, ob ich als Trainer nicht mal etwas anderes machen möchte. Anderer Verein, andere Mannschaft, andere Spielklasse. Jedes Jahr gibt es externe Anfragen. „Nein“, lautet stets meine Antwort – natürlich mit dem Zusatz der Dankbarkeit für das Interesse. Warum auch immer habe ich erst jetzt den Sinn dahinter verstanden, warum ich als Trainer nicht weiterkommen möchte. Ein Erkenntnisgewinn.

Es ist ein paar Jahre her, als mich noch mal der Ehrgeiz packte. Ich bewarb mich auf den Lehrgang zur B-Lizenz, nachdem ich bereits weit mehr als zehn Jahre als Trainer im Herren- und Jugendbereich tätig war. Ich wurde abgelehnt. Eine der schlimmsten Zurückweisungen, die ich in meinem Leben je erfahren habe. Es folgte ein langes, ehrliches Streitgespräch mit dem Verbandssportlehrer, den ich schon lange kannte. Dabei fiel ein Satz, der mich verletzte, aber der aus der heutigen Perspektive betrachtet, einfach wahr war. „Du hast mir nie gezeigt, ein ambitionierter Trainer sein zu wollen.“ Rums. Das hatte gesessen. Ich war wütend, verteufelte das Ausbildungsssystem, wohlwissend, dass ich mich inhaltlich nicht verstecken musste, auch wenn mir vielleicht der Sprech der Lehrbücher nicht Wort für Wort geläufig war. Kollegen sprachen mir gut zu. „Sie wissen ja, was ich kann“, dachte ich. Das gab mir ein gutes Gefühl. Thema durch.

Heute blicke ich etwas anders auf die Geschehnisse, auf alles, was ich in mittlerweile 18 Jahren Trainerdasein erleben durfte. Auf meine Zurückhaltung, Schritte nach vorne machen zu wollen, etwas Neues sehen zu wollen, mehr erreichen zu wollen. Ich habe mich gefragt, warum das so ist. Lange Zeit habe ich gedacht, dass mein Zeitfenster für all das einfach geschlossen sei. Die Phase, als Anfang 20-Jähriger, ist lange her. Ich habe es verpasst, meine Ambitionen zu formulieren und ihnen nachzujagen.

Ich war nie der Trainer, der nach Höherem strebte

Jetzt weiß ich, dass ich nie welche hatte, dass es für mich in meiner Rolle als Trainer nie darum ging, etwas für mich zu tun, einen Weg, gar ein Ziel zu verfolgen. Es war nie meine Aufgabe, junge Fußballer auszubilden, verschiedene Mannschaften zu formen, Lizenz für Lizenz zu absolvieren. In all dem sind andere besser, finden andere ihre Erfüllung. Neue Herausforderungen zu suchen, sich auf neue Gegebenheiten einzulassen. Nichts davon oblag mir.

Versteht mich nicht falsch. Ich bin ehrgeizig. Sehr sogar. Ich will gewinnen. Ich will besser werden. Als Mensch, als Trainer. Ich will meine Spieler im einzelnen besser machen und ich will, dass sich die Mannschaft weiterentwickelt. Und dennoch habe ich mir diese Frage gestellt, warum ich seit 19 Jahren an diesen Verein gebunden bin und insbesondere seit 18 Jahren an die von mir mit Freunden gegründete Mannschaft, obwohl von ihnen kaum noch einer bei mir spielt.

Anstoß für diesen Erkenntnisgewinn war die Verkündung des Karriereendes als Herrenspieler eines weiteren Freundes, der zehn Jahre Teil meines Team war und im Laufe der Zeit zu einem meiner engsten Freunde geworden ist. Wenn es für mich nicht darum ging, als Trainer voranzukommen, worum geht es mir dann? Was ist der Sinn hinter all dem, hinter dem Zeitaufwand, dem Stress.

Meine Aufgabe war das Zusammenbringen von Menschen

Und da wurde es mir klar: Der Sinn hinter all dem ist, dass ich Menschen zusammenbringe. Das mag für externe Leser und Beobachter banal, vielleicht etwas abgehoben klingen, aber das ist es nicht. Im Gegenteil. Es ist alles. Besagter Spieler, der zur neuen Saison in der Ü32 weiterkicken wird, also in jener Mannschaft, in der ein Großteil meiner engsten Freunde spielt, die im Kern aus Spielern meines Ursprungsteams gebildet wurde, war zehn Jahre lang an meiner Seite. Ich kannte ihn zuvor nicht. Sein Wechsel zu uns war Zufall. Wir hatten früh eine Verbindung. Er wurde ein Freund. Spieler von damals, die er vorher auch nicht kannte, sind nun auch seine Freunde. Seine zukünftige Frau und er kamen sich auf meiner Hochzeit näher. Sie ist die Schwester einer meiner ehemaligen Jugendspieler, mit dessen Familie sich über die Zeit ebenfalls eine starke Verbindung aufgebaut hatte und der auch mitterweile Teils meines Teams ist. Wir waren zusammen im Urlaub, haben unglaublich viel Zeit zusammen verbracht, beide sind auch wichtige Personen für meine Tochter. Jetzt ist meine Frau Trauzeugin von der zukünftigen Braut.

Ich habe diesen Spieler dabei begleiten dürfen, wie er von einem manchmal nervigen 22-Jährigen zu einem erfolgreichen Mann gereift ist. All die Momente, die uns durch das Zusammenkommen als Gruppe geschenkt wurden, bleiben für immer. Und ich kann unzählige weitere solcher Verbindungen aufschreiben. Da ist meine Frau, Schulfreundin der heutigen Ehefrau meines langjährigen Kapitäns, die ich nur dadurch kennenlernen konnte, weil es dieses Team gab, das Menschen anzog. Und dann ist ein Spieler, der allen völlig fremd nach Hamburg kam, dessen Trauzeuge ich Jahre später sein durfte. Und, und, und… Ich habe so viel gegeben und dafür ein Vielfaches bekommen, aber nie mit dieser Absicht.

Das gemeinsame Erwachsenwerden der vergangenen 18 Jahre, die unzähligen tiefen Freundschaften, die in der Zeit entstanden sind, zwischen mir und anderen, oder die durch die Existenz dieser Gruppe zwischen anderen entstanden sind, ist für mich mehr Wert als jede Lizenz, jede höhere Spielklasse, jeder Zeitungsbericht über einen selbst als Trainer.

Die Geschichte wiederholt sich

Und all das, es endet nicht. Keine handvoll Spieler aus früheren Tagen ist noch Teil des Teams. Dafür sind es zahlreiche Kicker, die ich im Jugendbereich über viele Jahre begleiten durfte, die jetzt den Kern der Truppe bilden. Und es wiederholt sich. Ich sehe uns und mich vor 10-15 Jahren, wenn ich diese Mannschaft anschaue. Aber ich gucke nicht nur zu. Ich bin weiter Teil davon. Ich sehe die Begeisterung, mit der diese Menschen jede Woche gemeinsam Zeit verbringen, ich sehe so viele Freundschaften, die entstehen, so viele Erinnerungen, die geschaffen werden, so viel Liebe und Freude. Ich fühle mich jung, gebraucht, geschätzt. Ohne Druck, ohne Erwartungen. Es geht nur um die Menschen.

Jetzt mag mir der ein oder andere unterstellen, dass ich mir mein Versagen, kein ambitionierter Trainer sein zu können, schönrede. Auch damit habe ich mich auseinandergesetzt. Und ich dachte mir über einen längeren Zeitraum, dass da sogar etwas dran sein könnte. Aber diese Gedanken sind weg. Ich bin frei. Der Sinn meines Trainerdaseins liegt so klar vor mir wie noch nie – und damit auch die Akzeptanz dafür, dass andere mich vielleicht belächeln, immer auf derselben Stelle zu treten. Aber das tue ich gar nicht. Ich komme immer weiter – als Mensch. Und davon abgesehen: die Deutung dieses so immens wuchtigen Teils meines Lebens überlasse ich nicht anderen Menschen. In Sachen Fußball habe ich meinen Frieden gefunden, meinen Sinn erkannt. Und was soll ich sagen, außer, dass ich unendlich dankbar dafür bin.

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Also werde ich auch beim nächsten Mal freundlich nein sagen, wenn ich gefragt werde, ob ich mal etwas Neues ausprobieren möchte. Dennoch wird irgendwann auch der Tag kommen, an dem ich nicht mehr kann. Aber dieser Tag ist noch fern.

2024: Ein Jahr am Rande der eigenen Grenze

Jan-Hendrik Schmidt, Trainer der 3. Herren des NIendorfer TSV, jubelt über ein Tor.

Seit einiger Zeit beschäftigt mich diese Frage schon: Wie lange bin ich noch Trainer? Die Antwort bleibe ich mir selbst schuldig – noch. Im vergangenen Jahr war die Frage gleichzeitig präsenter denn je und so weit weg wie lange Zeit nicht mehr. Ein Blick zurück auf ein Fußball-Jahr 2024, das sportlich so viel versprach und es dann nicht halten konnte. Was mich bei Laune hält? Die Entwicklung in der Kabine.

Januar/Februar/März: Der Start ins Jahr ist eisig, im wahrsten Sinne. Kein Training auf dem Platz möglich, dafür Kraftzirkel im Kabinentrakt, Soccerhalle. Dann taut es und wir testen gleich zwei Mal gegen Landesligisten. Wir verlieren, aber wir spielen gut. Mutig, mit Idee, fehlerhaft immer mal wieder, aber wir sind gut vorbereitet auf den schwierigen Start mit vielen starken Gegnern unserer Staffel. Doch die Ergebnisse passen nicht, trotz überwiegend guter Leistungen. Nur ein Punkt aus den ersten drei Spielen und der Zug der Spitzengruppe fährt wieder ohne uns ab. Aus Zuversicht und Selbstvertrauen werden leise Zweifel, die wir dann im März mit zwei Siegen hintereinander kurzzeitig aus dem Weg räumen. Es folgt ein verrücktes 4:4, das schlimmer nicht sein könnte und damit der endgültige Wendepunkt dieser Saison. Final besiegelt durch die Niederlage beim Letzten. Alles, was wir uns nach der Winterpause aufgebaut hatten, war eingerissen. Und schon war der Blick mehr Richtung Sommerpause gerichtet als Richtung folgende Aufgaben. Malle war gebucht und irgendwie wirkte das sportliche Geschehen beinahe zweitrangig.

Der Mallorca-Trip als Retter eine mauen Saison

April/Mai/Juni: Und es wurde noch schlimmer. Ein taumelndes Team mit schwachen Leistungen und wilden Ergebnissen, das sich dank zweier Siege irgendwie im Niemandsland festbeißen konnte. Eine sportlich verkorkste Saison, die auch in der Kabine nur wenig Anhaltspunkte für Entwicklung bot. Auch der Abschied einer Team-Ikone tat weh. Doch dann kam der Trip nach Mallorca, erstmalig fast nur mit der Nachfolge-Generation des langjährigen Gründungsteams. Megapark und Bierkönig brachten eine Gruppe zusammen, die bunt war. Vorfreude auf die neue Saison machte sich bemerkbar, Ideen für ein intensiveres Miteinander entstanden am Pool an der Playa de Palma. Die von mir länger ersehnte Partizipation nahm ihren Anfang. Ein gutes Gefühl.

Juli/August/September: Ich verändere zur neuen Saison ein paar Dinge in Sachen Teilnahme. Standardsituation werden outgesourced an die Mannschaft, auch die Zielsetzung wird in Gruppen erörtert und vorgetragen. Personell geht es mit nur wenig Änderungen in die neue Spielzeit, noch einmal wird der Kader verjüngt, zwei Musterknaben ehrlicherweise, was die Integration spielend leicht macht. Ich merke aber zunehmend auch, wie schwierig greifbar die ganz jungen Jahrgänge für mich mittlerweile sind. 2006 bin ich 18 geworden. Jetzt kicken Spieler in meiner Mannschaft, die in dem Jahr geboren worden sind. Irre. Die Vorbereitung läuft sportlich etwas holprig mit einem entscheidenden Spiel gegen einen Kreisligisten, in dem wir zur Pause 0:3 zurückliegen und bodenlos spielen, in der zweiten Halbzeit aber ganz anders agieren und noch auf 3:3 stellen können. Alles, was da in der Halbzeit besprochen wurde, prägt die kommenden Wochen. Wir spielen zum Ligastart diszipliniert, gewinnen erstmals überhaupt seit dem Bezirksliga-Aufstieg 2014 die ersten beiden Spiele. Trotz zweier Dämpfer bleiben wir in der Spur und treffen dann nacheinander auf die Topteams der Liga, gegen die wir fast alles gut aussehen, teils sehr mutig und aggressiv mitspielen, phasenweise dominant. Die Nachwehen des Malle-Trips sind spürbar. Das im Sommer abermals entstandene Führungsvakuum wird häppchenweise gefüllt, nach den Spielen bleiben die Jungs länger in der Kabine, die Teamabende erfreuen sich reger Teilnahme. Erstmalig glaube ich, dass das fußballerische Potenzial des Teams endlich so abgerufen werden kann, dass es für die Spitzengruppe reicht.

Total-Absturz im Herbst

Oktober/November/Dezember: Wir gewinnen noch unsere Pflichtaufgabe im Pokal, ehe ansatzlos der totale Absturz beginnt. Wirklich gar nichts hatte darauf hingedeutet. Im Oktober bin ich das erste Wochenende privat verhindert, das Team verliert in meiner Abwesenheit gegen einen schlagbaren Gegner trotz vieler Chancen aber auch nach zugegebenermaßen schwacher Leistung. In der Rückmeldung werden mir dann zu positive Signale gesendet und ich verkenne die Situation. Es folgt ein Fiasko daheim mit Platzverweis und Klatsche. Eine Woche später reagiert die Mannschaft zwar in Sachen inhaltlicher Disziplin, wirkt aber zunehmend ideenloser im Spiel nach vorne. Das Selbstvertrauen ist weg, die Punkte nach einem Patzer in der Schlussphase auch. Ein weiteres Desaster folgt in einem Heimspiel. Ein blutleerer Auftritt, bei dem wir eine Halbzeit in Überzahl spielen dürfen und dabei gegen einen abermals schlagbaren Gegner ganz schlecht aussehen und keine Durchschlagskraft haben. Es ist das Spiel, nachdem ich mental auf Grund gehe. Das Team wirkt tot. Keine Ansprache zieht. Ich frage mich, ob die Spieler, von denen eben ein sehr großer Teil trotz der jungen Jahre schon sehr lange unter mir spielt, vielleicht doch mal einen neuen Impuls brauchen. Ich kommuniziere diese Gedanken aber nur einem sehr kleinen Kreis, aus dem sofort sorgenvolles Feedback kommt und die Existenz des Teams mit mir verknüpft wird. Die Art und Weise gibt etwas Mut – Frage nach dem „Wie lange noch?“ vertagt.

Mitten in diese Zeit fällt eine englische Woche mit einem Pokalspiel auswärts in Billstedt auf einem Dienstag um 19 Uhr. Ohnehin fehlen viele Spieler gegen einen sehr starken Gegner, gegen den wir erneut ohne Selbstvertrauen aber endlich mal wieder mit Herz spielen. Dann verletzt sich unser Kapitän und ein enger Freund von mir schwer. Schlüsselbeinbruch. Ich bin bei der Erstversorgung dabei, telefoniere während das Spiel schon weiterläuft mit dessen Verlobten, organisiere das weitere Prozedere. Als ich fast wieder bei der Trainerbank ankomme, halte ich kurz inne. Es wird alles zu viel. Mir kommen die Tränen. Es geht mir zu nahe. Das Team kämpft und gewinnt in Überzahl glücklich mit 1:0. Eine Runde weiter. Balsam für die Seele der Jungs. Beim Tor spüre ich nichts – und das kurz vor Schluss.

Teaminterne Sitzung ohne mich als Wendepunkt

Doch das Spiel ist kein Brustlöser. Es folgen zwei weitere Spiele, die von grenzenloser Verunsicherung geprägt sind. Wie trainiert man Selbstvertrauen? Ich habe selten eine Mannschaft gesehen, die bei allem personellen Aderlass eigentlich so gut besetzt ist, aber zwei Klassen schlechter spielt, weil die Angst mit im Fußballschuh hockt. Doch dann passiert es. Aus dem Team heraus gibt es einen Impuls. Endlich. Ein Spieler prescht nach vorne, gründet eine WhatsApp-Gruppe ohne Trainer mit ein paar Spielern, zitiert den Rest der Truppe zur Aussprache vor dem nächsten Heimspiel. Früheres Treffen als üblich. Ich weiß, dass ich über all die Jahre wenig Raum gelassen habe für Führung. Doch der wurde immer genutzt durch enge vertraute Spieler, die nun aber nicht mehr Teil des Teams waren. Mein Drang, mehr Raum zu geben, entfaltete sich also parallel zur abnehmenden Führungsverantwortung im Team. Kein guter Mix.

Ohne mein Beisein werden Dinge angesprochen, die den Spielern wichtig sind. Ich weiß bis heute nicht genau, was alles besprochen wurde. Und obwohl das meiner Neugier widerspricht, bewahre ich die Situation genau so. Wir spielen furios, führen schnell hoch, machen den Sack nicht zu und zittern am Ende etwas unnötig – 3:2. Eine Woche später gibt es den nächsten Sieg und auch wenn das letzte Spiel vor der Winterpause ergebnistechnisch ordentlich in die Hose geht, ist die Tendenz wieder steigend.

Die Saison kann doch eine gute werden

Fazit: Unterm Strich muss man sagen, dass auch diese Saison vermutlich gelaufen ist in der Liga. Das Gute: Im Pokal stehen wir im Halbfinale, das am Ostermontag gespielt wird. Das kann uns tragen wie vor zwei Jahren, als wir Pokalsieger wurden. Aber selbst wenn ich Ende Mai nicht wieder Trainer eines Pokalsiegers sein sollte, könnte die Saison eine andere Bewertung erfahren wie die vorige, wenn diese Tendenz in Sachen Kabine eben jene steigende ist. Dann könnte es eine gute Spielzeit sein.

Dass ich nach so vielen Jahren, es ist meine 18. Saison als Herrentrainer, doch noch Neues erlebe, sehe, wie aus jungen Männern langsam Erwachsene werden, die Verantwortung spüren und verantwortlich handeln, zeigt mir, dass ich weiterhin noch von dieser Tätigkeit profitiere, dass ich weiterhin lerne, dass ich weiterhin Menschen um mich herum versammle, die mich begeistern. Und deshalb mache ich das ja – irgendwie.

Wenn der Blick in den Spiegel schmerzt

Die heile Amateurfußball-Welt, die ich mir in den vergangenen Wochen geschaffen habe, tat gut. Ergebnisse gut, Training extrem gut, Stimmung im Team sehr gut. Dann folgte der heutige Tag. Ich ärgere mich so unendlich über mich selbst, dass der Blick in den Spiegel schmerzt. Persönlich war es heute meine erste Saisonniederlage (bei der anderen war ich im Urlaub). Was mich so an mir selbst ärgert? Meine Nachlässigkeit.

Heute hat gar nichts gepasst. Wir waren schlecht. Welche Faktoren im Einzelnen dafür verantwortlich waren, ist am Ende gar nicht so entscheidend, sondern der Fakt, dass ich selbst so weit weg von einer guten Leistung war, dass es mich erschreckt. Und jede Minute mehr, die seit Abpfiff verstreicht, sorgt dafür, dass mir bewusster wird, dass sich die Nicht-Leistung heute seit ein, zwei Wochen angebahnt hatte und ich im Zuge des guten Starts eben nachlässig geworden bin. Der Dringlichkeit meiner Performance bin ich wegen eines guten Gefühls nicht mehr nachgekommen.

Ich habe weniger intensiv das Training und entsprechende Inhalte vorbereitet, mich dabei davon blenden lassen, dass die Intensität in den Einheiten aufgrund des neuen Konkurrenzskampfs und der guten Stimmung ausreichen würde, die Ansprache und die Aufgabenverteilung für die vergangenen zwei, drei Spiele dürftig durchgeführt und im Spiel keine Antworten und Lösungen gefunden. Alles in allem bequem, unkonzentriert, ohne Fokus. Diese Erkenntnis trifft mich als Trainer sehr, weil es nicht mein Anspruch ist. Aber…

Faktor Zeit ein Problem

Das Problem: Diese Nachlässgikeit hat einen Ursprung, der nur schwer beim Schopf zu packen ist: der Faktor Zeit. Fünf Wochen war ich wegen meines Armbruchs krankgeschrieben, dann eine Woche im Urlaub, seit zwei Wochen arbeite ich wieder vollends. Genau in diesen zwei, drei Wochen hat sich mein Fokus auf den Fußball verschoben. Kind, Arbeit, Kind, dann schnell rüber zum Platz. Dort bin ich froh, dass das Training aktuell gut läuft. Inhaltlich zielgerichtet ist dies dann kaum, weil ich es nicht optimal vorbereiten kann. Auf den ersten Blick fiel das nicht groß ins Gewicht, heute wurde es mir offenbart.

Will ich meine schlechte Performance heute auf diese Ausrede schieben? Nein! Ich bin es meinen Jungs und auch mir selbst gegenüber schuldig, einen Weg zu finden, auf dem ich Fußball in der Vor- und Nachbereitung so unterbringe, dass ich besser bin als der Status Quo. Sonst muss ich Schluss machen oder den Anspruch so herunterfahren, dass meine Leistung dazu passt.

Geht es anderen Trainern auch so?

Ich würde es aber als gutes Zeichen werten, dass ich mich heute im Spiegel nicht angucken kann, dass ich jede einzelne Handlung heute hinterfrage und dass es mir alles andere als gefällt, dass ich nicht geliefert habe. Dazu kommt die Lust, es kommende Woche besser machen zu wollen. Das definiert zumindest unbewusst meinen eigentlich hohen Anspruch.

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Ich würde gerne wissen, wie das andere Trainer auf diesem Niveau mit Familie lösen und freue mich über Rückmeldungen. Dann kann ich ab morgen vielleicht auch wieder in den Spiegel schauen.

Tschüs, Lars: Ein Fußball-Abschiedsbrief an einen Krieger

Nun ist es also doch soweit. Dieses Mal konnte ich dich nicht mehr überreden. Nach acht Jahren an meiner Seite ist Schluss. Auch wenn ich dich lieber weiterhin bei mir gewusst hätte, ist dein Ende als Herrenfußballer verständlich. Lieber Lars, hier kommt mein öffentlicher Abschiedsbrief an einen Menschen, der mein Fußballerleben in einem Maße bereichert hat wie nur wenige andere. Tschüs, Lars!

Schon vor einem Jahr, als zwei andere verdiente Spieler, und vor allem enge Freunde, unser Team verließen, wählte ich diesen Weg des Abschieds. Zu schwierig wird es sonst am Sonntag, alle Worte so über die Lippen zu bringen, wie ich es gerne tun würde. Zu emotional fällt mir auch dieses Ende.

2016 bist du zu uns gekommen. Du wärest es gerne früher, hast du mal gesagt. Und du hast recht. Häufig kreuzen sich Wege später, als es vielleicht möglich gewesen wäre. Aber am Ende bin ich einfach froh, dass es überhaupt soweit gekommen ist.

Erstes Punktspiel, neue Eindrücke

Ich erinnere mich noch gut an dein erstes Punktspiel für uns. BU2 auswärts an der Dieselstraße. Jeder Zweikampf, jeder geklärte Ball wurde von dir gefeiert wie ein eigenes Tor. Wir haben uns damals verwundert die Augen gerieben, der Gegner war genervt. In diesem Moment hast du dich in unser aller Herzen gespielt. Ich habe seither nie wieder einen Spieler gesehen, der so genau auf den Punkt bis unters Dach motiviert ist, der so sehr gewinnen will, der alles für sein Team tut – auf und neben dem Platz.

Lars, du bist als Fußballer ein Vorbild an Leidenschaft. Ich weiß, dass du es manchmal nicht sehen magst, aber du hast jeden einzelnen deiner Mitspieler damit inspiriert. Ja, es mag dauern, bis man sich an deine Art und Weise gewöhnt, aber dann ist es das wertvollste Gut, das man in einer Mannschaft haben kann.

Auch als Co-Trainer eine Bereicherung

Vor einem Jahr, als du schon spielender Co-Trainer warst, als wir gerade den Pokal gewonnen haben und du dich eigentlich schon neben den beiden anderen Legenden verabschiedet sehen wolltest, hast du dich noch mal überreden lassen. Ein Jahr zum Übergang, zu kurzfristig war dein damaliger Wunsch, zu wenig vorbereitet. Ich bin froh, dass du Ja gesagt hast. Auch wenn du zu Beginn der Saison mehr spielen musstest, als du eigentlich wolltest, warst du vor allem als Co-Trainer eine enorme Bereicherung für die Mannschaft und mich. Immer, wenn es nötig war, hast du wieder deine Buffer geschnürt. Ich werde dir nicht oft genug Danke dafür sagen können.

Dass wir deinen sportlich herausragenden Jahren nun genau das Ende geben können, was du verdient hast, erfüllt mich mit Stolz. An deiner Seite wird Yannik auflaufen, mit dem du schon früher auf dem Feld standest. Ein Szenario wie gemalt. Ein sich schließender Kreis.

Ein Vorbild durch und duch

In all den Jahren warst du Stammspieler, ab und zu auch mal Kapitän – immer ein Anführer. Einer, an dem sich andere orientieren konnten, einer, der immer für die anderen da war. Schmerzen hast du ignoriert, immer und immer wieder. Du hast deinen Körper geschunden, Jahr für Jahr. Niemand kann dir jemals hoch genug anrechnen, was du für dieses Team, für diesen Sport gegeben hast. Du bist ein Krieger.

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Aber da ist ja nicht nur der Fußball. Da ist ja auch noch dieses andere. Freundschaft. Keine zwei Jahre kannten wir uns, da warst du schon mit auf meinem JGA, als Gast auf meiner Hochzeit, ein paar Jahre später Onkel Lars für meine Tochter. Wir haben uns oft gestritten, wir waren oft nicht einer Meinung. Aber wir haben uns immer lieb gehabt, immer diese Freundschaft weiterentwickelt. Ich bin froh über jede gemeinsame Erinnerung, die uns der Fußball beschert hat, jeden Moment Freude und Trauer, jeden Drink, jede Party, jedes Jahr Malle.

Einmal noch Fußball und dann (vorerst) ein letztes Mal Malle. Weitere Erinnerungen, weitere Momente, die ich immer mit dir verbinden werde. Jetzt genieß dein letztes Spiel. Es gehört dir. Tschüs, Lars!

Ich sehe für Nichts die Rote Karte – ein Sehnsuchts-Appell an die Schiedsrichter

Jan-Hendrik Schmidt, Trainer der 3. Herren des Niendorfer TSV, wischt sich mit der Hand übers Gesicht an der Seitenlinie.

Es ist meine 17. Saison im Herrenfußball. Die ersten Jahre als Spielertrainer, seit meinem zweiten Kreuzbandriss 2015 nur noch als Trainer. Ich bin emotional, ich kann gegnerischen Trainern, Spielern oder auch den Schiedsrichtern mal auf den Sack gehen. In all der Zeit habe ich mich aber niemals daneben benommen, jemanden beleidigt oder jemandem körperlich wehgetan. Ich bin ein Freund von Kommunikation, von Erklärungen, von Menschen, die einen in ihrer Situation sehen und sich der emotionalen Lage des Gegenübers bewusst sind. Im Fußball schlägt das Herz auf dem Platz. Man ärgert sich, man freut sich, man leidet. Mal schießt man übers Ziel hinaus, dann gibt man sich die Hand. Heute habe ich eine glatt Rote Karte bekommen – und ich möchte darüber sprechen, dass ich das nicht hinnehmen kann.

Ich halte mich selbst für eine Person, die nach abkühlender Emotion, nach sinkendem Puls und weichendem Adrenalin sich selbst hinterfragen kann. Sowohl inhaltlich im Kontext meiner Trainertätigkeit (Was habe ich falsch, was habe ich richtig gemacht?) als auch in Bezug auf meinen Umgang mit meinem Team, den Gegnern und eben auch den Schiedsrichtern. Doch dieses Mal bin ich an einem Punkt, an dem ich für mich nicht mehr damit argumentieren kann, dass die Unparteiischen einen schwierigen Job haben, dass wir Bezirksliga spielen und eben auch Bezirksliga-Schiris gestellt bekommen, dass wir froh sein müssen über jeden, der an den Wochenenden diese Tätigkeit ausübt.

Willkür sorgt für Frustrationen

All das sehe ich so, aber heute nicht. Wir haben ein Spiel verloren. Verdient. Wir spielen schlecht. Seit Wochen. Ich finde vermutlich zu wenig Lösungen, die Mannschaft setzt zu wenig um, mental ist die Saison ob der Tabellensituation seit Wochen gelaufen. Das sorgt für Frust. Klar. Heute bekommt ein Spieler beim Stand von 0:2 und einem gepfiffenen Elfmeter gegen uns die Rote Karte dafür, dass er ruft „Wir sind so schlecht“. Vermutlich gibt es eine lange Sperre wegen Schiedsrichterbeleidigung, die es nie gegeben hat. Schwierig. Schon zuvor wurden alle Reaktionen auf Pfiffe, die in einem völlig gängigen Maß erfolgten, mit Gelb sanktioniert. Darauf kann man sich natürlich einstellen im Laufe eines Spiels und das haben wir nicht, der Gegner schon. Es ist aber das xte Spiel in diesem Jahr, in dem keinerlei Nachfragen erlaubt sind, in dem jede Reaktion sanktioniert wird. Das Fass ist übergelaufen. Emotionen sollten dann sanktioniert werden, wenn sie zu häufig erfolgen, zu scharf im Ton sind, beleidigend und ähnliches. Aber Emotionen gehören dazu. Bitte lasst sie ein bisschen laufen, vor allem in einem Spiel, das überhaupt nichts derlei hergegeben hat, keine Fouls, keine Beleidigungen, keine strittigen Szenen. Schiedsrichter sollten in der Lage sein, Emotionen der Beteiligten zu evaluieren, nicht sie zu verbieten.

Nachspielzeit sorgt für Redebedarf

Als ich mich beim Stand von 0:3 darüber aufregte, dass der Schiedsrichter vier Minuten bei hoher Frustration auf unserer Seite nachspielen ließ, kam er zu mir, erklärte mir warum, drehte wieder ab. „Jede Woche dasselbe“, sagte ich. Er kam erneut zu mir und zeigte mir Gelb. Berechtigt. Damit kann ich leben. Mein Co-Trainer fragte nach, warum die Gelbe Karte? Nicht aggresiv, nur lauter als normal. Dafür zückte der Schiedsrichter glatt Rot. Ich fragte nach warum – und sah ebenfalls glatt Rot. Keine Erklärung. Nichts. Glatt Rott für nichts, einfach nichts. Eine normale Nachfrage. Stell mich meinetwegen mit Gelb-Rot runter. Das wäre auch maßlos überzogen, aber okay, damit hätte ich leben können. Erkläre wenigstens, warum du was machst.

Nach dem Abpfiff wollte ich mit dem Schiedsrichter sprechen, fragte ihn ruhig, warum er mir Rot gegeben hat. Keine Antwort, keine Erklärung. Jetzt werde ich vermutlich gesperrt, vielleicht sogar mehr als ein Spiel. Für absolut nichts.

Ich hätte aufhören müssen, etwas zu sagen. Mein Co-Trainer hätte nicht mehr nachfragen dürfen. Ja, im Nachhinein muss der klügere nachgeben. In dem Moment wollten wir beide tatsächlich einfach nur wissen, wie er seine Entscheidung begründet. In welchem Universum ist das eine grobe Unsportlichkeit, eine Beleidigung, oder was sonst noch im Regelwerk steht. Wie hätte ich diese Form der Konsequenz erahnen können?

Was mich traurig macht: die Außendarstellung. Auf den ersten Blick werde ich meiner Vorbildfunktion nicht gerecht. Ich stand vor meinem Team, wollte Verantwortung für mein Handeln übernehmen. Aber ich konnte nicht mehr sagen, weil ich nichts gemacht habe. Alle wussten das – und doch fühlt es sich beschissen an.

Ich habe keine Lust, mir immer wieder erzählen lassen zu müssen, dass Emotionen verboten sind. Dann kann ich aufhören mit diesem Sport. Wirklich.

Es gibt auch positive Beispiele

Zwei positive Beispiele: Auswärtsspiel in der Hinrunde. Foul an unseren Stürmer. Taktisch. Klar Gelb aus meiner Sicht. Ich ärgere mich. Keine Reaktion. Der Ärger kann dadurch schon abebben. Dann der Halbzeitpfiff. Ich frage nach. Der Schiedsrichter erklärt mir seine Sicht der Dinge. Ich bleibe anderer Meinung, aber verstehe seine Perspektive und schätze seine Art der Kommunikation.

Heimspiel. Giftiger Kick, aggressiver Gegner. Ähnlich wie heute gibt es für jede Reaktion die Gelbe Karte. Sofort. Wir stellen uns darauf ein, werden ruhiger. Nach dem Spiel kommen der Schiedsrichter und ich ins Gespräch. Ich frage nach, warum es immer direkt Gelb gab. Er erklärt mir, dass er beiden jüngeren Assistenten das Spiel einfacher machen wollte, ihnen zeigen wollte, dass hier schnell Ruhe ist. Ich bin zwar anderer Meinung, dass man so ein Spiel leiten sollte, aber verstehe seinen Ansatz. Wir plaudern noch. Top. Gute Kommunikation.

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Ich weiß, ich bin manchmal schwierig, verlange kommunikativ einiges von anderen. Ich weiß, ich kann nerven. Aber ich bin nicht unfair, nicht beleidigend. Ich bin einfach emotional. Lasst mich emotional sein. Lasst Fußballer emotional sein. Ihr sollt euch nicht alles gefallen lassen. Aber macht doch nicht aus einem emotionslosen Amateurkick eine Karten-Party, nur weil ihr da Bock drauf habt. Bitte. Mir ist es auch egal, ob ich mit dieser Offenheit hier an anderer Stelle anecke, dass mir das vielleicht sogar nachteilig ausgelegt wird. Aber ich kann Willkür und Ungerechtigkeit nicht ertragen. Nie.

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