2024: Ein Jahr am Rande der eigenen Grenze

Seit einiger Zeit beschäftigt mich diese Frage schon: Wie lange bin ich noch Trainer? Die Antwort bleibe ich mir selbst schuldig – noch. Im vergangenen Jahr war die Frage gleichzeitig präsenter denn je und so weit weg wie lange Zeit nicht mehr. Ein Blick zurück auf ein Fußball-Jahr 2024, das sportlich so viel versprach und es dann nicht halten konnte. Was mich bei Laune hält? Die Entwicklung in der Kabine.

Januar/Februar/März: Der Start ins Jahr ist eisig, im wahrsten Sinne. Kein Training auf dem Platz möglich, dafür Kraftzirkel im Kabinentrakt, Soccerhalle. Dann taut es und wir testen gleich zwei Mal gegen Landesligisten. Wir verlieren, aber wir spielen gut. Mutig, mit Idee, fehlerhaft immer mal wieder, aber wir sind gut vorbereitet auf den schwierigen Start mit vielen starken Gegnern unserer Staffel. Doch die Ergebnisse passen nicht, trotz überwiegend guter Leistungen. Nur ein Punkt aus den ersten drei Spielen und der Zug der Spitzengruppe fährt wieder ohne uns ab. Aus Zuversicht und Selbstvertrauen werden leise Zweifel, die wir dann im März mit zwei Siegen hintereinander kurzzeitig aus dem Weg räumen. Es folgt ein verrücktes 4:4, das schlimmer nicht sein könnte und damit der endgültige Wendepunkt dieser Saison. Final besiegelt durch die Niederlage beim Letzten. Alles, was wir uns nach der Winterpause aufgebaut hatten, war eingerissen. Und schon war der Blick mehr Richtung Sommerpause gerichtet als Richtung folgende Aufgaben. Malle war gebucht und irgendwie wirkte das sportliche Geschehen beinahe zweitrangig.

Der Mallorca-Trip als Retter eine mauen Saison

April/Mai/Juni: Und es wurde noch schlimmer. Ein taumelndes Team mit schwachen Leistungen und wilden Ergebnissen, das sich dank zweier Siege irgendwie im Niemandsland festbeißen konnte. Eine sportlich verkorkste Saison, die auch in der Kabine nur wenig Anhaltspunkte für Entwicklung bot. Auch der Abschied einer Team-Ikone tat weh. Doch dann kam der Trip nach Mallorca, erstmalig fast nur mit der Nachfolge-Generation des langjährigen Gründungsteams. Megapark und Bierkönig brachten eine Gruppe zusammen, die bunt war. Vorfreude auf die neue Saison machte sich bemerkbar, Ideen für ein intensiveres Miteinander entstanden am Pool an der Playa de Palma. Die von mir länger ersehnte Partizipation nahm ihren Anfang. Ein gutes Gefühl.

Juli/August/September: Ich verändere zur neuen Saison ein paar Dinge in Sachen Teilnahme. Standardsituation werden outgesourced an die Mannschaft, auch die Zielsetzung wird in Gruppen erörtert und vorgetragen. Personell geht es mit nur wenig Änderungen in die neue Spielzeit, noch einmal wird der Kader verjüngt, zwei Musterknaben ehrlicherweise, was die Integration spielend leicht macht. Ich merke aber zunehmend auch, wie schwierig greifbar die ganz jungen Jahrgänge für mich mittlerweile sind. 2006 bin ich 18 geworden. Jetzt kicken Spieler in meiner Mannschaft, die in dem Jahr geboren worden sind. Irre. Die Vorbereitung läuft sportlich etwas holprig mit einem entscheidenden Spiel gegen einen Kreisligisten, in dem wir zur Pause 0:3 zurückliegen und bodenlos spielen, in der zweiten Halbzeit aber ganz anders agieren und noch auf 3:3 stellen können. Alles, was da in der Halbzeit besprochen wurde, prägt die kommenden Wochen. Wir spielen zum Ligastart diszipliniert, gewinnen erstmals überhaupt seit dem Bezirksliga-Aufstieg 2014 die ersten beiden Spiele. Trotz zweier Dämpfer bleiben wir in der Spur und treffen dann nacheinander auf die Topteams der Liga, gegen die wir fast alles gut aussehen, teils sehr mutig und aggressiv mitspielen, phasenweise dominant. Die Nachwehen des Malle-Trips sind spürbar. Das im Sommer abermals entstandene Führungsvakuum wird häppchenweise gefüllt, nach den Spielen bleiben die Jungs länger in der Kabine, die Teamabende erfreuen sich reger Teilnahme. Erstmalig glaube ich, dass das fußballerische Potenzial des Teams endlich so abgerufen werden kann, dass es für die Spitzengruppe reicht.

Total-Absturz im Herbst

Oktober/November/Dezember: Wir gewinnen noch unsere Pflichtaufgabe im Pokal, ehe ansatzlos der totale Absturz beginnt. Wirklich gar nichts hatte darauf hingedeutet. Im Oktober bin ich das erste Wochenende privat verhindert, das Team verliert in meiner Abwesenheit gegen einen schlagbaren Gegner trotz vieler Chancen aber auch nach zugegebenermaßen schwacher Leistung. In der Rückmeldung werden mir dann zu positive Signale gesendet und ich verkenne die Situation. Es folgt ein Fiasko daheim mit Platzverweis und Klatsche. Eine Woche später reagiert die Mannschaft zwar in Sachen inhaltlicher Disziplin, wirkt aber zunehmend ideenloser im Spiel nach vorne. Das Selbstvertrauen ist weg, die Punkte nach einem Patzer in der Schlussphase auch. Ein weiteres Desaster folgt in einem Heimspiel. Ein blutleerer Auftritt, bei dem wir eine Halbzeit in Überzahl spielen dürfen und dabei gegen einen abermals schlagbaren Gegner ganz schlecht aussehen und keine Durchschlagskraft haben. Es ist das Spiel, nachdem ich mental auf Grund gehe. Das Team wirkt tot. Keine Ansprache zieht. Ich frage mich, ob die Spieler, von denen eben ein sehr großer Teil trotz der jungen Jahre schon sehr lange unter mir spielt, vielleicht doch mal einen neuen Impuls brauchen. Ich kommuniziere diese Gedanken aber nur einem sehr kleinen Kreis, aus dem sofort sorgenvolles Feedback kommt und die Existenz des Teams mit mir verknüpft wird. Die Art und Weise gibt etwas Mut – Frage nach dem „Wie lange noch?“ vertagt.

Mitten in diese Zeit fällt eine englische Woche mit einem Pokalspiel auswärts in Billstedt auf einem Dienstag um 19 Uhr. Ohnehin fehlen viele Spieler gegen einen sehr starken Gegner, gegen den wir erneut ohne Selbstvertrauen aber endlich mal wieder mit Herz spielen. Dann verletzt sich unser Kapitän und ein enger Freund von mir schwer. Schlüsselbeinbruch. Ich bin bei der Erstversorgung dabei, telefoniere während das Spiel schon weiterläuft mit dessen Verlobten, organisiere das weitere Prozedere. Als ich fast wieder bei der Trainerbank ankomme, halte ich kurz inne. Es wird alles zu viel. Mir kommen die Tränen. Es geht mir zu nahe. Das Team kämpft und gewinnt in Überzahl glücklich mit 1:0. Eine Runde weiter. Balsam für die Seele der Jungs. Beim Tor spüre ich nichts – und das kurz vor Schluss.

Teaminterne Sitzung ohne mich als Wendepunkt

Doch das Spiel ist kein Brustlöser. Es folgen zwei weitere Spiele, die von grenzenloser Verunsicherung geprägt sind. Wie trainiert man Selbstvertrauen? Ich habe selten eine Mannschaft gesehen, die bei allem personellen Aderlass eigentlich so gut besetzt ist, aber zwei Klassen schlechter spielt, weil die Angst mit im Fußballschuh hockt. Doch dann passiert es. Aus dem Team heraus gibt es einen Impuls. Endlich. Ein Spieler prescht nach vorne, gründet eine WhatsApp-Gruppe ohne Trainer mit ein paar Spielern, zitiert den Rest der Truppe zur Aussprache vor dem nächsten Heimspiel. Früheres Treffen als üblich. Ich weiß, dass ich über all die Jahre wenig Raum gelassen habe für Führung. Doch der wurde immer genutzt durch enge vertraute Spieler, die nun aber nicht mehr Teil des Teams waren. Mein Drang, mehr Raum zu geben, entfaltete sich also parallel zur abnehmenden Führungsverantwortung im Team. Kein guter Mix.

Ohne mein Beisein werden Dinge angesprochen, die den Spielern wichtig sind. Ich weiß bis heute nicht genau, was alles besprochen wurde. Und obwohl das meiner Neugier widerspricht, bewahre ich die Situation genau so. Wir spielen furios, führen schnell hoch, machen den Sack nicht zu und zittern am Ende etwas unnötig – 3:2. Eine Woche später gibt es den nächsten Sieg und auch wenn das letzte Spiel vor der Winterpause ergebnistechnisch ordentlich in die Hose geht, ist die Tendenz wieder steigend.

Die Saison kann doch eine gute werden

Fazit: Unterm Strich muss man sagen, dass auch diese Saison vermutlich gelaufen ist in der Liga. Das Gute: Im Pokal stehen wir im Halbfinale, das am Ostermontag gespielt wird. Das kann uns tragen wie vor zwei Jahren, als wir Pokalsieger wurden. Aber selbst wenn ich Ende Mai nicht wieder Trainer eines Pokalsiegers sein sollte, könnte die Saison eine andere Bewertung erfahren wie die vorige, wenn diese Tendenz in Sachen Kabine eben jene steigende ist. Dann könnte es eine gute Spielzeit sein.

Dass ich nach so vielen Jahren, es ist meine 18. Saison als Herrentrainer, doch noch Neues erlebe, sehe, wie aus jungen Männern langsam Erwachsene werden, die Verantwortung spüren und verantwortlich handeln, zeigt mir, dass ich weiterhin noch von dieser Tätigkeit profitiere, dass ich weiterhin lerne, dass ich weiterhin Menschen um mich herum versammle, die mich begeistern. Und deshalb mache ich das ja – irgendwie.

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