Immer wieder werde ich mit der Frage konfrontiert, ob ich als Trainer nicht mal etwas anderes machen möchte. Anderer Verein, andere Mannschaft, andere Spielklasse. Jedes Jahr gibt es externe Anfragen. „Nein“, lautet stets meine Antwort – natürlich mit dem Zusatz der Dankbarkeit für das Interesse. Warum auch immer habe ich erst jetzt den Sinn dahinter verstanden, warum ich als Trainer nicht weiterkommen möchte. Ein Erkenntnisgewinn.
Es ist ein paar Jahre her, als mich noch mal der Ehrgeiz packte. Ich bewarb mich auf den Lehrgang zur B-Lizenz, nachdem ich bereits weit mehr als zehn Jahre als Trainer im Herren- und Jugendbereich tätig war. Ich wurde abgelehnt. Eine der schlimmsten Zurückweisungen, die ich in meinem Leben je erfahren habe. Es folgte ein langes, ehrliches Streitgespräch mit dem Verbandssportlehrer, den ich schon lange kannte. Dabei fiel ein Satz, der mich verletzte, aber der aus der heutigen Perspektive betrachtet, einfach wahr war. „Du hast mir nie gezeigt, ein ambitionierter Trainer sein zu wollen.“ Rums. Das hatte gesessen. Ich war wütend, verteufelte das Ausbildungsssystem, wohlwissend, dass ich mich inhaltlich nicht verstecken musste, auch wenn mir vielleicht der Sprech der Lehrbücher nicht Wort für Wort geläufig war. Kollegen sprachen mir gut zu. „Sie wissen ja, was ich kann“, dachte ich. Das gab mir ein gutes Gefühl. Thema durch.
Heute blicke ich etwas anders auf die Geschehnisse, auf alles, was ich in mittlerweile 18 Jahren Trainerdasein erleben durfte. Auf meine Zurückhaltung, Schritte nach vorne machen zu wollen, etwas Neues sehen zu wollen, mehr erreichen zu wollen. Ich habe mich gefragt, warum das so ist. Lange Zeit habe ich gedacht, dass mein Zeitfenster für all das einfach geschlossen sei. Die Phase, als Anfang 20-Jähriger, ist lange her. Ich habe es verpasst, meine Ambitionen zu formulieren und ihnen nachzujagen.
Ich war nie der Trainer, der nach Höherem strebte
Jetzt weiß ich, dass ich nie welche hatte, dass es für mich in meiner Rolle als Trainer nie darum ging, etwas für mich zu tun, einen Weg, gar ein Ziel zu verfolgen. Es war nie meine Aufgabe, junge Fußballer auszubilden, verschiedene Mannschaften zu formen, Lizenz für Lizenz zu absolvieren. In all dem sind andere besser, finden andere ihre Erfüllung. Neue Herausforderungen zu suchen, sich auf neue Gegebenheiten einzulassen. Nichts davon oblag mir.
Versteht mich nicht falsch. Ich bin ehrgeizig. Sehr sogar. Ich will gewinnen. Ich will besser werden. Als Mensch, als Trainer. Ich will meine Spieler im einzelnen besser machen und ich will, dass sich die Mannschaft weiterentwickelt. Und dennoch habe ich mir diese Frage gestellt, warum ich seit 19 Jahren an diesen Verein gebunden bin und insbesondere seit 18 Jahren an die von mir mit Freunden gegründete Mannschaft, obwohl von ihnen kaum noch einer bei mir spielt.
Anstoß für diesen Erkenntnisgewinn war die Verkündung des Karriereendes als Herrenspieler eines weiteren Freundes, der zehn Jahre Teil meines Team war und im Laufe der Zeit zu einem meiner engsten Freunde geworden ist. Wenn es für mich nicht darum ging, als Trainer voranzukommen, worum geht es mir dann? Was ist der Sinn hinter all dem, hinter dem Zeitaufwand, dem Stress.
Meine Aufgabe war das Zusammenbringen von Menschen
Und da wurde es mir klar: Der Sinn hinter all dem ist, dass ich Menschen zusammenbringe. Das mag für externe Leser und Beobachter banal, vielleicht etwas abgehoben klingen, aber das ist es nicht. Im Gegenteil. Es ist alles. Besagter Spieler, der zur neuen Saison in der Ü32 weiterkicken wird, also in jener Mannschaft, in der ein Großteil meiner engsten Freunde spielt, die im Kern aus Spielern meines Ursprungsteams gebildet wurde, war zehn Jahre lang an meiner Seite. Ich kannte ihn zuvor nicht. Sein Wechsel zu uns war Zufall. Wir hatten früh eine Verbindung. Er wurde ein Freund. Spieler von damals, die er vorher auch nicht kannte, sind nun auch seine Freunde. Seine zukünftige Frau und er kamen sich auf meiner Hochzeit näher. Sie ist die Schwester einer meiner ehemaligen Jugendspieler, mit dessen Familie sich über die Zeit ebenfalls eine starke Verbindung aufgebaut hatte und der auch mitterweile Teils meines Teams ist. Wir waren zusammen im Urlaub, haben unglaublich viel Zeit zusammen verbracht, beide sind auch wichtige Personen für meine Tochter. Jetzt ist meine Frau Trauzeugin von der zukünftigen Braut.
Ich habe diesen Spieler dabei begleiten dürfen, wie er von einem manchmal nervigen 22-Jährigen zu einem erfolgreichen Mann gereift ist. All die Momente, die uns durch das Zusammenkommen als Gruppe geschenkt wurden, bleiben für immer. Und ich kann unzählige weitere solcher Verbindungen aufschreiben. Da ist meine Frau, Schulfreundin der heutigen Ehefrau meines langjährigen Kapitäns, die ich nur dadurch kennenlernen konnte, weil es dieses Team gab, das Menschen anzog. Und dann ist ein Spieler, der allen völlig fremd nach Hamburg kam, dessen Trauzeuge ich Jahre später sein durfte. Und, und, und… Ich habe so viel gegeben und dafür ein Vielfaches bekommen, aber nie mit dieser Absicht.
Das gemeinsame Erwachsenwerden der vergangenen 18 Jahre, die unzähligen tiefen Freundschaften, die in der Zeit entstanden sind, zwischen mir und anderen, oder die durch die Existenz dieser Gruppe zwischen anderen entstanden sind, ist für mich mehr Wert als jede Lizenz, jede höhere Spielklasse, jeder Zeitungsbericht über einen selbst als Trainer.
Die Geschichte wiederholt sich
Und all das, es endet nicht. Keine handvoll Spieler aus früheren Tagen ist noch Teil des Teams. Dafür sind es zahlreiche Kicker, die ich im Jugendbereich über viele Jahre begleiten durfte, die jetzt den Kern der Truppe bilden. Und es wiederholt sich. Ich sehe uns und mich vor 10-15 Jahren, wenn ich diese Mannschaft anschaue. Aber ich gucke nicht nur zu. Ich bin weiter Teil davon. Ich sehe die Begeisterung, mit der diese Menschen jede Woche gemeinsam Zeit verbringen, ich sehe so viele Freundschaften, die entstehen, so viele Erinnerungen, die geschaffen werden, so viel Liebe und Freude. Ich fühle mich jung, gebraucht, geschätzt. Ohne Druck, ohne Erwartungen. Es geht nur um die Menschen.
Jetzt mag mir der ein oder andere unterstellen, dass ich mir mein Versagen, kein ambitionierter Trainer sein zu können, schönrede. Auch damit habe ich mich auseinandergesetzt. Und ich dachte mir über einen längeren Zeitraum, dass da sogar etwas dran sein könnte. Aber diese Gedanken sind weg. Ich bin frei. Der Sinn meines Trainerdaseins liegt so klar vor mir wie noch nie – und damit auch die Akzeptanz dafür, dass andere mich vielleicht belächeln, immer auf derselben Stelle zu treten. Aber das tue ich gar nicht. Ich komme immer weiter – als Mensch. Und davon abgesehen: die Deutung dieses so immens wuchtigen Teils meines Lebens überlasse ich nicht anderen Menschen. In Sachen Fußball habe ich meinen Frieden gefunden, meinen Sinn erkannt. Und was soll ich sagen, außer, dass ich unendlich dankbar dafür bin.
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Also werde ich auch beim nächsten Mal freundlich nein sagen, wenn ich gefragt werde, ob ich mal etwas Neues ausprobieren möchte. Dennoch wird irgendwann auch der Tag kommen, an dem ich nicht mehr kann. Aber dieser Tag ist noch fern.