Ich treffe Jan-Hendrik Haimerl – Trainerkollege, Sparringspartner, Gleichgesinnter
Es ist die hinterste und spärlich beleuchtete Ecke eines Schanzen-Lokals. Hatari Pfälzer Stube am Schulterblatt. Hier wartet Jan-Hendrik Haimerl auf mich, Trainer des HSV Barmbek-Uhlenhorst 2, Rivale, Trainerkumpel. Es ist das erste Mal, dass wir uns abseits eines Fußballplatzes sehen. Warum es so lange gedauert hat, wissen wir selber nicht genau. Seit längerer Zeit sind mehrminütige Sprachnachrichten als Wochenendzusammenfassung nach Spieltagen mehr Regel als Ausnahme. Auf der wackligen Bierzelt-Garnitur stehen Ketchup, Mayonnaise und Senf. Wir bestellen zwei Bier und Schnitzel mit Käsespätzle. Es dauert keine zwei Minuten und wir versinken in Geschichten des Hamburger Amateurfußballs.
Wir erinnern uns gut an unsere erste Begegnung. Anfang September 2014. Ich war damals noch Spielertrainer, meine Mannschaft gerade aufgestiegen. Haimerl saß bereits auf der Bank, allerdings als Co-Trainer. Nach Rückstand schieße ich das 1:1, wir gehen am Ende mit 1:7 unter. „Unser Trainer hat die Mannschaft damals vor dir gewarnt“, erinnert sich Haimerl. An der höchsten Pflichtspielpleite bis heute konnte das aber auch nichts ändern. Bei der Suche einer Antwort auf die Frage, warum das die Geburtsstunde einer langjährigen Rivalität war, können wir beide nur mutmaßen.
In den folgenden neun Aufeinandertreffen beißt sich BU 2 an uns die Zähne aus. Wir gewinnen vier Partien, spielen fünf Mal Unentschieden. Barmbek-Uhlenhorst ist dabei immer Favorit, wir jedes Mal der Außenseiter. Jedes Aufeinandertreffen erzählt seine eigene Geschichte und brennt sich in die Erinnerungen ein. „Zu Beginn der letzten Spielzeiten hat die Mannschaft immer das Ziel ausgegeben, Niendorf zu schlagen“, berichtet Haimerl. Ich weiß, dass dieses Ziel noch etwas drastischer formuliert wurde. Aus dem Angstgegner-Dasein machten sich meine Jungs regelmäßig ihre Scherze, äußerten diese unter anderem auch im Megapark auf Mallorca. Frotzeleien vor 5-Liter-Säulen. Das Bild kann man nicht malen.
Ich vermute, dass die Rivalität in der Ähnlichkeit der jeweiligen sozialen Strukturen begründet liegt. Beide Teams kommen jahrelang über die Geschlossenheit, „die Kabine“, wie es Haimerl formuliert. Eine gute Stimmung im Team zu haben, abseits des Platzes viel zu unternehmen und am Ende der Saison auf Mallorca zu feiern – das war schon immer für beide Truppen wichtig.
Das Schnitzel wird endlich serviert. Es hat gedauert. Wir sind schon beim dritten Bier. Die Portion ist riesig, der Hunger aber auch. Wir erinnern uns an weitere Momente.
Haimerl erzählt davon, dass er als Co-Trainer in einer Saison ausgerechnet in den beiden Aufeinandertreffen mit meiner Mannschaft seinen Trainer vertreten musste und beide Spiele verlor. Ich erinnere mich an ein Heimspiel, vor dem BU 2 im Kreis nochmals betonte, dass es dieses Mal endlich klappen müsse. Wann wir angefangen haben, häufiger miteinander zu kommunizieren, wissen wir beide aber auch nicht mehr ganz genau.
War es die zufällige, gemeinsame Gegnerbeobachtung bei UH Adler Sonntagmorgen an der Beethovenstraße? Oder irgendeine der vielen Abstimmungen bezüglich Trikotfarben per WhatsApp? Die endgültige Initialzündung war wohl die sehr nette Geste beim vorletzten Aufeinandertreffen im Herbst 2018. Haimerl überreichte mir beim Gastspiel in Barmbek ein Sixpack mit ausgefallenem Bier als Aufmerksamkeit zu meiner Hochzeit. Seitdem tauschen wir uns regelmäßig über Amateurfußball aus, vornehmlich über die Bezirksliga Nord aber auch andere Skurrilitäten im Hamburger Fußball. Selbst seit dem Aufstieg von BU 2 in die Landesliga ist der Kontakt nicht abgerissen. Im Gegenteil.
Das Schnitzel ist verputzt, die nächste Runde Bier bestellt. Themen gehen uns nicht aus. Der Amateurfußball hat einfach zu viel zu bieten, vor allem, wenn man so bekloppt ist wie wir. Wir sprechen über Gerüchte, über Spieler, über verrückte Gestalten, die sich überraschenderweise seit Jahren in den höchsten Amateur-Ligen profilieren dürfen. Doch jetzt will ich wissen, wie mein Namensvetter eigentlich Trainer geworden ist. Eine Frage, die mich bei jedem Kollegen extrem interessiert.
So richtig darauf aus sei er nie gewesen, berichtet Jan-Hendrik Haimerl. Lange Zeit war er Assistent. Doch als sein Chef das Amt aufgab und die Mannschaft nach ihm verlangte, wagte er den Schritt in die erste Reihe. „Ich hatte mir nie vorgenommen, irgendwann mal Trainer zu sein“, sagt er heute. Doch der Schritt war der richtige. Binnen zwei Jahren baute er in Barmbek eine Mannschaft auf, die tatsächlich aufsteigen würde. Das war vorher schon jahrelang das Ziel gewesen. Im Mai 2019 hat es als Vizemeister endlich geklappt.
Das Vertrauen im Verein ist kontinuierlich gestiegen. Kein Wunder, schließlich läuft es auch eine Spielklasse höher als Aufsteiger ausgezeichnet. „Am Anfang haben wir noch etwas Lehrgeld bezahlt und mussten begreifen, dass eine solide Leistung in dieser Liga nicht auch immer gleich mit Punkten belohnt wird.“
Seine Entwicklung hat sich im Hamburger Amateurfußball herumgesprochen. Immer wieder trudeln Anfragen anderer Vereine ein. Doch die Liebe zum HSV Barmbek-Uhlenhorst war bisher immer stärker als die Neugier, mal etwas Neues auszuprobieren. Parallel absolviert Haimerl seinen B-Lizenzlehrgang in Barsinghausen, mit dabei sein Co-Trainer Stephan Obst, ebenfalls ein BU-Urgestein und durchaus einer der Faktoren für die aufgekommene Rivalität unserer beiden Mannschaften.
„Obst war immer genauso verrückt wie euer Torwart damals“, schmunzelt Coach Haimerl, während die nächste Runde Bier auf den wackeligen Biertisch gestellt wird. Genau diese Verrücktheit ist aber auch das, was die Typen im Amateurfußball auszeichnet. Echt muss er sein, dieser wahnsinnige Sport. Da sind wir uns beide einig. „Wenn ich sehe, wie viel Geld mittlerweile im Amateurfußball im Umlauf ist, dreht sich mir der Magen um“, sagt mein Gegenüber, „das macht doch keinen Spaß.“ Ich stimme zu.
Und weil wir beide so denken, weil uns diese in unseren Augen falsche Entwicklung so zuwider ist, wir unsere Teams auch nach diesen Werten aufgestellt haben, genau deshalb sind wir Rivalen geworden und genau deshalb auch Kumpel.
Gleichgesinnte zu treffen, ist für mich ein hohes Gut. Der Kosmos Amateurfußball ist nicht für jeden begreifbar und gerade deshalb macht es solch eine Freude, sich mit anderen Bekloppten wie Jan-Hendrik Haimerl auszutauschen. Selbst, wenn sie nicht mehr in derselben Liga spielen. Dass der Niendorf-Fluch auch höherklassig weitergeht (unsere 2. Mannschaft spielt dort) reicht mir da völlig.
Wir kippen noch einen Schnaps, stoßen mit dem letzten Schluck des x-ten Bieres an, zahlen und verabschieden uns. „Bis bald!“ „Jo, bis bald“. Auf dem Fußballplatz. Es ist sehr wahrscheinlich.