Die Befürchtungen waren ohnehin schon groß, die Realität ist noch schwieriger als gedacht. Aus verschiedenen Gründen ist diese Vorbereitungsphase die komplexeste, die ich als Trainer bisher erlebt habe. Ein schwieriger Spagat zwischen geduldigem Verständnis und unerfülltem Anspruch. Ein Erklärungsversuch.
Sieben Monate ohne Fußball. Abgesehen von ein paar Einzeltrainings fand nichts statt. Wie im vorherigen Text beschrieben war klar, dass diese völlig ungewohnt lange Zeit ihre Spuren bei allen Beteiligten hinterlassen würde. Wie groß diese Spuren wirklich sind, zeigt aber erst diese Saisonvorbereitung. Schließlich fand von November bis Mai nicht nur Fußball nicht statt, sondern auch alles andere kam viel zu kurz. So wird der ohnehin schwierig zu erlangende Termin-Rhythmus bei den Spielern verstärkt durch andere soziale Sehnsüchte wie Urlaub und Freizeitaktivitäten mit Partnerin, Familie und Freunden.
Urlaub, Impfung, Verletzte
Als Trainer gerate ich dabei in eine schwierige Situation. Anders als in den Jahren vor Corona streckt sich die Urlaubsphase nicht von Mai bis Oktober, sondern konzentriert sich stark auf den Juli und August. Ich habe dafür Verständnis. Jeder lechzt nach Freiheit und Erlebnissen. Trotzdem macht mich die Summe der urlaubsbedingten Absagen rasend, weil das den Vorbereitungsprozess der Mannschaft härter ausbremst als jemals zuvor. An Inhalten nachhaltig zu arbeiten, ist kaum möglich.
Die Urlaubsreisen nehmen kein Ende. Ostseewochenende folgt auf Ostseewochenende, Kurztrip auf Kurztrip. Dazu, auch wenn natürlich absolut lobenswert, fallen jede Woche 2-3 Spieler wegen Erst- oder Zweitimpfung aus. Zu guter letzt gibt es in jeder Vorbereitung angeschlagene Spieler. In Summe führt das allein bei meiner Mannschaft dazu, dass wir zwei unserer sechs Testspiele absagen mussten. In 14 Jahren Herrenfußball hatte ich zuvor noch nie ein Spiel abgesagt.
Schrei nach Kontinuität
Aber das ist noch nicht alles. Nicht nur, dass ohnehin wenig Spieler zur Verfügung stehen, es ist auch durchweg ein zusammengewürfelter Haufen. Nur eine handvoll Spieler kommen auf eine gute Trainingsbeteiligung von 80 bis 100 Prozent. Der Rest gibt sich die Klinke in die Hand und ist im Wechsel mal da und mal nicht. Das Fitnesslevel der gesamten Mannschaft ist so kaum auf ein gleiches Niveau zu bekommen. Auch in den Testspielen ist ob des wechselnden Personals kaum Kontinuität auf einzelnen Positionen zu erlangen. Teilweise müssen Spieler auf Positionen ran, die sie noch nie oder kaum gespielt haben.
Auch ich muss ehrlich sein: Nach acht Monaten ohne regelmäßiges Mannschaftstraining und Wettkampf am Wochenende, loderte das Feuer lange überraschenderweise nur auf Sparflamme. Da sich auch privat (ich bin Papa geworden) mitten in der Vorbereitung Bedeutendes verändert hat, bin ich in meinen eigentlich heiß geliebten Preseason-Modus nicht hineingekommen.
Auskotzen, um das Feuer zu entfachen
Doch bei all den Widerständen wird doch auch wieder eines klar: Manchmal muss man sich zwingen, seine Erwartungshaltung der Realität anzupassen, sich nicht auf ein Duell zwischen geduldigem Verständnis und unerfülltem Anspruch einzulassen. Was mir dabei geholfen hat, ist das Auskotzen beim Trainerteam, das ähnlich fühlt, sind Gespräche mit Führungsspielern, die ebenfalls den Vibe vermissen, der Austausch mit anderen Trainern, denen es tatsächlich komplett genauso geht. Rauslassen ist immer besser als Anstauen. Und in dem Moment, in dem ich bei einzelnen meinen Unmut äußern konnte, platzte direkt neue Motivation heraus.
Wie gerufen kam dann das letzte Testspiel vor dem Pokalauftakt kommende Woche. Irgendwie ging nach dem 0:1 ein Ruck durch das gesamte Team, eine gewisse Genervtheit, eine lange vermisste Resilienz. Auch wenn es am Ende „nur“ ein 1:1 gab, war es das beste Spiel seit langem. Nicht, weil alles geklappt hat, sondern weil alles drin war. Plötzlich wieder Feuer, endlich wieder Leidenschaft und große Hoffnung, dass sich das aufrechterhalten lässt trotz aller Unwegbarkeiten.