Wie der Ex-profi und neu-Trainer seinen Spielern Werte und Inhalte vermittelt, warum Thomas Doll ein vorbild für ihn ist und wieso er in der schweiz nicht aufs tor schießen durfte
Der Weg auf die Trainerbank ist immer hochgradig persönlich und individuell. Jeder Coach hat seine eigene Geschichte, wie er sein Leben im Trainingsanzug beginnt. Bei Eren Sen ist dieser Moment noch nicht allzu lange her. Es war ein Knorpelschaden, der den Ex-Profi buchstäblich in die Knie zwang. Insgesamt vier Operationen am sensiblen Gelenk musste der ehemalige HSV-Spieler über sich ergehen lassen. Eine davon führte sogar dazu, dass er seine Prüfung zur B-Lizenz erst ein Jahr später als geplant absolvieren konnte.
Der erste Gedanke an eine Laufbahn als Trainer kam Eren Sen nach seiner zweiten Operation im Juni 2015. „Mir war klar, dass ich unbedingt weiter im Fußball arbeiten will und dass der Trainerjob zu mir passt. Ich mag es, meine Erfahrungen weiterzugeben“, erzählt der heute 34-Jährige. Und Erfahrungen hat der ehemalige DFB-Juniorennationalspieler zahlreiche gesammelt. Beim HSV fing alles an, ehe Sen in der Schweiz beim FC Thun sogar Champions League spielte. Es folgten weitere Stationen in der 1. und 2. türkischen Liga, ein Gastspiel in Magdeburg und ein Aufenthalt im Iran.
Ein Gespräch mit seinem ehemaligen Auswahltrainer beim Hamburger Fußball-Verband, Uwe Jahn, überzeugte ihn schließlich davon, mit dem Trainerlehrgang zur B-Lizenz ein neues Kapitel aufzuschlagen. Zu diesem Schritt entschloss sich der gebürtige Harburger, obwohl er als Ex-Profi mit der Elite-Lizenz hätte starten können. „Ich wollte alles mitnehmen und maximal viel Wissen aufsaugen“, erklärt Sen seine Entschiedung. Der Plan ging auf. Trotz operationsbedingter Unterbrechung des Lehrgangs machte er seinen B-Schein, hospitierte im Anschluss unter anderem beim HSV und ist seit etwas mehr als einem halben Jahr in der Nachwuchsabteilung des Niendorfer TSV aktiv. Zur neuen Saison leitet er dort die Geschicke der U15, die in der C-Regionalliga, Deutschlands höchster Spielklasse in diesem Alter, spielt.
Es ist eben auch die Arbeit mit Talenten, die Eren Sen am Trainerjob reizt. „In jungen Jahren sind Spieler formbar, wissbegierig und interessiert“, so der Coach, der gerne offensiv spielen lässt. „Den Jungs Lösungen bei Ballbesitz zu vermitteln, ist dabei eine größere Herausforderung, als das Spiel gegen den Ball zu trainieren“, sagt Sen und steht damit sicherlich nicht alleine da. Doch Herausforderungen reizen den Deutsch-Türken. 4-2-3-1 oder auch mal ein 4-3-3 sind seine Lieblingsformationen, beide darauf ausgelegt, die Gegner früh unter Druck zu setzen und bei eigenem Ballbesitz vor unlösbare Aufgaben zu stellen.
Seine Inhalte vermittelt Sen auf Augenhöhe mit seinen Spielern. „Natürlich spielt gegenseitiger Respekt eine wichtige Rolle in der täglichen Arbeit. Ich will aber auch, dass meine Spieler wissen, dass sie jederzeit zu mir kommen können. Ich bin für meine Jungs da, fordere auf der anderen Seite aber auch eine große Bereitschaft ein, alles für die Mannschaft einzubringen.“
Werte wie Respekt zu vermitteln, hat für Eren Sen trotz aller fußballspezifischen Inhalte höchste Priorität. Besonders auch Jugendlichen, die aus komplexeren Familienverhältnissen kommen, will er helfend zur Seite stehen. „Nicht jeder hat das Privileg, von Zuhause alles vermittelt zu bekommen, was für das alltägliche Leben wichtig ist. Wir Trainer sind immer auch als Pädagogen gefordert und häufig einer der ersten Ansprechpartner“, weiß Sen um seine Verantwortung. Um dieser auch stetig gerecht werden zu können, kann der ehemalige Angreifer auf bewegte Profijahre zurückgreifen. In seiner Zeit in Deutschland, der Schweiz, der Türkei und dem Iran hat er wertvolle Erfahrungen gesammelt, die ihn nicht nur als Spieler formten, sondern auch sein heutiges Trainerbild prägen.
Beim HSV arbeitete Sen unter den Übungsleitern Kurt Jara, Klaus Toppmöller und Thomas Doll. Gerade letzterer ist ihm noch heute ein Vorbild. „Thomas Doll hat immer eine positive Energie ausgestrahlt und ist sehr selbstbewusst und offen aufgetreten“, so Sen, der sich davon auch etwas abgeschaut hat. Es gibt kaum einen Moment, in dem der junge Trainer nicht lächelt und zuvorkommend ist. Das spüren auch seine Spieler. Es war aber nicht nur Thomas Dolls Auftreten, sondern unter anderem auch zahlreiche Passübungen des Bundesliga-Trainers, die Sen in seine Trainerarbeit übertragen hat.
In seiner Zeit beim FC Thun erfuhr er dann, was richtig hartes Training bedeutet. „Wir sind häufig die Berge rauf unter runter gelaufen.“ Der Fokus lag auf der Physis. Torschusstraining zum Beispiel kam oft zu kurz, wie Eren Sen sich mit einem Schmunzeln erinnert: „Unser Trainer Urs Schönenberger hat immer gesagt: ,Wisst ihr, wie beim Schießen die Fasern reißen?‘ Das werde ich nie vergessen.“ Doch nicht nur fehlendes Schusstraining ist aus seiner Schweizer Zeit hängengeblieben: „Beim FC Thun habe ich erfahren, was Zusammenhalt bedeutet. Als so kleiner Verein in der Champions League zu spielen, ist nur möglich, wenn alle an einem Strang ziehen.“
Diese Form von Zusammenhalt vermittelt Sen auch heute seinen Spielern. Was ihn nämlich so richtig auf die Palme bringt, sind Jungs, die ihre Teamkollegen im Stich lassen. „Das kann schon eine kurzfristige Absage drei Minuten vor Trainingsbeginn sein. Jeder Spieler hat eine Verantwortung gegenüber seiner Mannschaft.“ Schließlich ist ein jedes Training minuziös geplant. Abwechslungsreich muss es sein, eine gute Mischung aus technischen, taktischen und ahtletischen Komponenten. Sen, selbst noch vier Mal die Woche im Fitnessstudio, legt viel Wert auf einen guten körperlichen Zustand seiner Spieler. Deshalb finden auch isolierte Ausdauerübungen in seiner Trainingsplanung Berücksichtigung. „Da kann sich keiner verstecken.“ Eine gesunde Ernährung gehört für Sen ebenfalls dazu. Statt McDonald’s gibt es bei Auswärtsfahrten Pasta beim Italiener.
Nach Niederlagen hilft aber auch die beste Pasta nicht. Zwei Tage benötigt Coach Sen, um ein verlorenes Spiel in seinem Kopf vollends zu verarbeiten. An Schlaf ist am ersten Abend nicht zu denken. „Manchmal brauche ich eine Schlaftablette.“ Seine Akribie treibt ihn an und seine Verlobte auch mal in den Wahnsinn. „Ist doch nur ein Spiel“, sagt sie, wenn es ihr Lebensgefährte mit seinem Ehrgeiz vermeintlich zu weit treibt.
Doch genau dieser hat ihn immer nach vorne gepeitscht – ob als Teenie aus Harburg, der es beim HSV packen wollte, als Profi in der Schweiz, der in der Champions League auflief oder als vierfach operierter Ex-Kicker, der in seinem Leben ein neues Kapitel als Trainer aufschlug. Geschrieben sind in diesem Kapitel erst die ersten paar Zeilen. Zahlreiche Geschichten sollen hinzukommen. Irgendwann will Eren Sen darüber berichten, wie er es auch als Trainer in den Profifußball geschafft hat. Sein Leben im Trainingsanzug hat begonnen.