Winterpause. Wie immer spielt Fußball in den ersten ein bis zwei Wochen überhaupt keine Rolle in meinem Kopf. Dann passiert das, was ich seit Jahren immer besonders genieße. Der Wissensdurst kommt zurück. Ich nehme wieder Fußballinhalte wahr, setze mich wieder mit Dingen auseinander, für die nach einer langen Serie kein Platz war. Noch ist es abstrakt. Geordnet wird erst in der dritten Phase.
Doch dieser letzte Abschnitt einer jeden Saisonunterbrechung ist mittlerweile anders. Das ist er seit nunmehr zweieinhalb Jahren. Während sonst Trainingspläne ausgetüftelt und Spielideen formuliert werden, setzt plötzlich der totale Stress ein. Der bevorstehende Trainingsauftakt, das erste Testspiel rücken näher, die Fragmente einer inhaltlichen Auseinandersetzung wieder in die Ferne.
Das erste Mal erlebte ich diesen Wandel im Sommer 2019. Nach der intensivsten Saison meiner Trainerlaufbahn hatte ich nur eine Woche Sommerpause. Meine A-Jugend spielte bis Mitte/Ende Juni noch um Punkte, während meine Herren ein paar Tage später in die Vorbereitung starten sollten. Kein menschlicher Akku der Welt lädt so schnell auf.
Das Feuer brennt nicht mehr
Die erste Saison nach einem größeren Umbruch lief dennoch gut, dann stoppte uns direkt nach einer zährenden Wintervorbereitung Corona. Pause. Und als es im Frühsommer wieder losging, war es im Herbst plötzlich wieder vorbei. Erneut Pause. Doch schon im Winter 2020 war ich nicht mehr so gut vorbereitet, setzte schon nicht mehr so viele neue Reize, hangelte mich häufiger von Training zu Training und von Spiel zu Spiel. Das wurde im Sommer 2020 schlimmer und fand nun im Sommer des vergangenen Jahres seinen negativen Höhepunkt. Das Feuer brennt nicht mehr so wie früher. Eine natürliche Abnutzung, das Fehlen von Zeit, die Geburt meiner Tochter. Die Konsequenz ist eine Mannschaft, die genauso launisch spielt, wie ihr Trainer im Hintergrund agiert. Es kann alles funktionieren, und kurz darauf plötzlich gar nichts.
In der Bezirksliga kann das genug sein, ist es bei vielen Teams schon seit Jahren. Ist mal Dampf unterm Kessel, läuft es, aber ebenso schnell wird auf halber Flamme gekocht und es läuft nicht. Das reicht dann fürs untere Mittelfeld und für den Klassenerhalt, aber eben für mehr auch nicht. DAS, war bisher aber nie mein Anspruch. Nicht, dass man nicht auch mal gegen den Abstieg spielen kann, oder mal im Mittelfeld festhängen darf, doch es muss stets versucht werden, etwas weiterzuentwickeln, nicht einfach nur zu kicken. Diesen Versuch schaffe ich nicht mehr zu machen. Aber das ist nicht alles.
Der Bumerang schwieriger Entscheidungen
Fast 15 Jahre habe ich an einer Gemeinschaft gearbeitet. So viel Energie und Hingabe sind in dieses Team geflossen. Ich bin erst 33 Jahre alt, aber sehe diese Mannschaft als das Werk meiner ersten Lebenshälfte. Viel, aber berechtigter Pathos. Ein Großteil meiner ganz persönlichen Erinnerungen an die Lebensjahre 20 bis 33 sind mit den Menschen dieser Gemeinschaft verbunden. Vielen von ihnen geht es auch so. Worte können das nicht beschreiben. Alles wurde gemeinsam erlebt. Gegründet aus alten Freunden, vermischt mit Unbekannten, die zu neuen Freunden wurden. So war es über viele Jahre.
Ein alter Weggefährte fragte schon vor langer Zeit, was eigentlich passieren würde, wenn wir mal älter werden. Ich hatte immer eine Vision davon. Die Entstehung einer alten Herren, eine Ansammlung all der alten Freunde, die von Beginn an dabei waren oder dazustießen und wieder gingen. Geläutert und erwachsen. Väter und Ehemänner. Weder als Spieler noch als Trainer dieser Mannschaft sah ich mich. Mehr wie ein willkommener Dauergast, der nach all den Jahren als Anführer, als Bauherr dieser Gruppe, passiver Teil des Resultats seines Werkes ist. Diese Alte Herren sollte wie bei einer Zellteilung aus der jetzigen Mannschaft entstehen. Dieselbe DNA, derselbe Geist. Spieler, die in ihren Dreißigern als Art Hybride fungieren und für beide Teams wichtig sein können. Dieser Traum ist verblasst.
Als Trainer musste ich im Laufe der Jahre immer schwierige Entscheidungen treffen. Sportlicher Erfolg ließ den Anspruch wachsen. Meinen, aber auch den der Mannschaft. Nicht jeder, der mal Teil des Teams war, konnte diesem sportlichen Anspruch gerecht werden. Ein natürlicher Teil eines Entwicklungsprozesses, wenngleich herzzerreißend. Einige dieser schwierigen Personalentscheidungen scheinen nun wie ein Bumerang meinen Hinterkopf zu treffen. Die durch den Aufprall verursachte Ohnmacht lähmt meine Begeisterung für den Fußball im Hier und Jetzt.
Statt Anführer im Ruhestand, der als Helfer bereitsteht, stehe ich vor verschlossener Tür im Regen und schaue durchs Fenster zu. Der Schmerz, für als Trainer getroffene Entscheidungen als Mensch abgestraft zu werden, zerreißt mein Fußballherz. Ich konnte das Trainer-Dasein und Freundschaft immer irgendwie trennen, habe mir den Kopf zerbrochen, wenn Personalentscheidungen getroffen werden mussten, die nicht meinem Herzen entsprachen, wusste aber stets, dass das eine mit dem anderen nie konkurrieren darf. Ein Drahtseilakt. Bis heute.
Der Glaube an eine andere Zukunft
Wenn ich nachts im Bett liege, so wie in diesem Moment, an dem mich die Gedanken an all das wach halten, komme ich immer wieder zu demselben Punkt. So kann es nicht weitergehen. Fußball ist ein Teil von mir. Trainer zu sein hat mir dabei geholfen, mich im Leben zurechtzufinden. Ich muss also dringend Fragen beantworten: Möchte ich so weitermachen, wie es nun seit einiger Zeit läuft? Nein! Im Sommer einen Schlussstrich zu ziehen, wäre die logische Konsequenz, aber: Kann ich mir ein Leben vorstellen, ohne auf dem Fußballplatz zu stehen? Ebenfalls nein! Denn immer, wenn ich meine Copa Mundial geschnürt habe, die Emotion eines Tores spüre und nur in diesem Moment bin, empfinde ich das Verlangen nach diesem Spiel. Also quo vadis?
Im festen Glauben daran, dass das Aufschreiben meines Dilemmas mir bei der Lösungsfindung hilft, denke ich an eine Zukunft – mit Fußball. An mehr Loslassen, mehr Abgabe von Verantwortung, weniger sportlichen Anspruch, wieder mehr Hobby und weniger Verpflichtung. Kein Festhalten an einer alten Vision, sondern das Akzeptieren der Schattenseite des Anführerdaseins, um aus der Ohnmacht durch den Schlag auf den Hinterkopf zu erwachen.
Und vielleicht entsteht aus dieser Knospe ja eine neue gedeihende Pflanze. Doch wenn ich meine Rolle als Trainer neu zu erlernen versuche, brauche ich eine Mannschaft, die selbiges tut. Mehr Eigenverantwortung, mehr Selbstorganisation, mehr Eigenmotivation, mehr Bereitschaft und weniger den Trainer machen lassen. Kann das funktionieren, wenn es mal anders war? Ich will es auf jeden Fall herausfinden. Wenn es eine Mannschaft kann, dann diese.