Das Saisonvorbereitungs-Dilemma

Es ist Juni. Eigentlich Sommerpause. Normalerweise stünde der Vorbereitungsplan für den Sommer schon längst. Jede Einheit, jedes Testspiel, jedes Teamevent. Doch durch die anhaltende Situation rund um das Corona-Virus liegen die Pläne auf Eis. Trainiert man durch? Gibt es noch eine Sommerpause? In welchem Rahmen kann ein Saisonabschluss stattfinden, damit verdiente Spieler gebührend verabschiedet werden können? Körperkontakt, Testspiele – wann ist das wieder möglich?

Wie plant man aktuell die Saisonvorbereitung?

Aktuell trainiere ich mit meiner Mannschaft noch diese und kommende Woche. Am 22. Juni werden dann auf dem Verbandstag des HFV hoffentlich nicht nur Entscheidungen über die Wertung der alten, sondern auch über den Start der neuen Saison getroffen. Denn das ist zwingend nötig. Schließlich entscheidet ein möglicher Saisonstart über den gesamten Zeitraum davor. Sind ab dem 1. September wieder Testspiele möglich und ab dem 1. Oktober Punktspiele, dann wäre ein Trainingsstart ab Mitte Juli meiner Meinung nach nur sinnvoll, wenn Training mit Körperkontakt wieder erlaubt wäre.

Nicht falsch verstehen: Das eingeschränkte Training aktuell macht mir Spaß und ich kann mit den Jungs an Dingen arbeiten, für die sonst weniger Zeit ist. Trotzdem wäre es nicht einfach, in dieser Form langfristiger die Spannung hochzuhalten. Auf der anderen Seite war lange genug Pause und ein etwas reduzierterer, dafür längerer Vorbereitungsplan wäre ebenfalls durchführbar.

Noch schwieriger wäre es, wenn der Verband den Mannschaften keine entsprechende Vorbereitungsphase mit Testspielen ermöglicht, sondern wie in der geändertern Spielordnung verankert mit nur zwei Wochen Vorlaufzeit in die neue Pflichtspielsaison startet. Das würde bedeuten, dass man maximal ein oder zwei Testspiele absolvieren könnte. Nach einem halben Jahr ohne 90-minütige Spielbelastung für Amateursportler eine große Herausforderung.

Drei-Stufen-Plan als Vorschlag

Für mich ist deshalb klar: Vier Wochen Vorbereitung mit Testspielen wären notwendig. Und auch ein Vollkontakttraining muss zuvor schon wieder über einen längeren Zeitraum erlaubt sein, sodass mit einem Drei-Stufen-Plan in die neue Saison gestartet werden könnte. Körperkontakt im Training ab 13. Juli. Abwarten, wie sich das auswirkt. Dann Testspiele ab 1. August, und schließlich Punktspiele ab dem 1. September. Ich persönlich rechne aber mit einer Aufnahme des allgemeinen Spielbetriebs zum 1. September und einem entsprechenden Saisonstart einen Monat später. Bei einem Vorbereitungsstart Mitte Juli könnte rund sechs Wochen also nur trainiert werden.

Fraglich bleibt dabei, inwiefern sich die Politik dazu hinreißen lassen wird, konkrete Starttermine für den Wettkampfbetrieb bekanntzugeben. Schließlich werden bei allen Lockerungen stets zwei Wochen alle Entwicklungen beobachtet. Testspiele für den August zu vereinbaren, kann also clever und gleichzeitig unnötig sein.

Ich habe mich über die Problematik der Planung, die nach dem 22. Juni sehr zügig umzusetzen wäre, mit Trainerkollegen unterhalten. Ein interessantes Modell ist die Planung einer regulären Vorbereitung mit normalem Saisonstart. Je nach Entscheidung des Verbandes werden einfach alle Testspiele und Trainingseinheiten um genau einen oder zwei Monate verschoben. Andere beginnen so oder so regulär Ende Juni mit dem Training, setzen aber zunächst nur zwei statt drei Trainings die Woche an und warten die Entwicklungen weiter ab.

Fazit: Es bleibt uns Trainern letztlich nichts Anderes übriges, als kurzfristig auf die Entscheidungen des Verbandes am 22. Juni zu reagieren und das beste aus dieser für alle schwierigen Situation zu machen. Wichtig ist unterm Strich die Bekanntgabe eines Saisonstarts. Dass dieser aufgrund von Corona vorbehaltlich sein kann, steht außer Frage. Schließlich kann keiner absehen, wie die Situation im Herbst sein wird. Wenn der Saisonstart dann kurzfristig abgesagt werden muss, würde das auch jeder verstehen.

Der Tag für den Titel

Ein Moment, der für immer bleibt und süchtig macht

Eigentlich wäre ich heute morgen aufgewacht, aufgeregt und angespannt. Eigentlich hätte heute unser Pokalfinale stattfinden sollen, das wir als Halbfinalist zum Zeitpunkt des Saisonabbruchs erreichen hätten können. Es ist egal, welchen Wettbewerb du als Sportler gewinnen kannst: den DFB-Pokal oder den Cup in deiner Amateurklasse. Der Tag für den Titel ist unvergesslich, der Gewinn einer Trophäe bleibt für immer.

Als Spielertrainer stand ich in zwei Finals. Beide Male hielt ich am Ende einen Pokal in den Händen. Als Jugendtrainer spielte ich mit meinen Jungs zweimal um hamburgweite Titel, in der U11 und in der U18. Beide Endspiele gingen verloren. Am Ende ist der Tag mit all seinen Emotionen und Erfahrungen das, was in Erinnerung bleiben wird. Doch mit einem Sieg im Rücken und einem Pokal im Gepäck bleibt diese Erinnerung für immer vollgepumpt mit Endorphinen.

Als wir 2014 mit den Herren im Endspiel des Holsten Pokals standen, gelang in der Rückrunde alles. Wir holten Punkt um Punkt auf, landeten noch auf Rang 2, gewannen die Aufstiegsrunde und bezwangen im Pokal mehrere höherklassige Gegner. Der enge Terminkalender mit vielen englischen Wochen steckte allen in den Knochen. Das sah man meiner Mannschaft über 120 Minuten an. Es war vermutlich unser schwächstes Spiel dieser Zeit. Aber sind das Endspiele nicht oft?

Ein Tag wie ein Film

Es ist etwas Besonderes: Die Anspannung nach dem Aufstehen, die Motivation, den Pokal unbedingt gewinnen zu wollen, das Ausmalen einer Titelfeier im Anschluss. Man fährt zum Platz, sieht die Jungs. Die Stimmung ist oberflächlich locker, innerlich sind alle angespannt. Nervös und aufgeregt zu sein, macht einen lebendig. Es ist vor dem Anpfiff das, was einem bei der Fokussierung hilft. Der Ablauf vor dem Spiel ist derselbe, die Worte in der Kabine sind andere. Es ist etwas mehr Pathos in der Ansprache. Ich bin überzeugt, dass das Betonen der Besonderheit noch einmal mehr Prozent herausholen kann, als das Herunterspielen dieses einen Spiels.

Die Musik in der Kabine ist laut. Hose, Stutzen und Aufwärmshirt werden angezogen. Die Jungs, die immer Witze machen, machen sie auch jetzt. Es geht raus auf den Platz, ein neutraler Spielort. Es sind Zuschauer da, die sonst nicht da sind. Es sind auch deutlich mehr als sonst. Dieses Gefühl, an diesem Tag so beobachtet zu werden, ist großartig. Nach dem Aufwärmen und einem letzten Einschwören in der Kabine gibt es kein zurück mehr. Auflaufen, Seitenwahl. Um den Platz herum ist alles voll mit Menschen. Es ist das vorerst letzte Mal für die nächsten zwei Stunden, dass man die Besonderheit des Tages, dieses einen Spiels so bewusst erlebt. Wenn der Schiedsrichter anpfeift, ist es ein normales Spiel, das man wie jedes einfach unbedingt gewinnen will. Verlängerung, Elfmeterschießen und dann die Entscheidung.

Erinnerungen, die für immer bleiben

Ich werde nie vergessen, wie der letzte Elfmeter des Gegners über das Tor fliegt und nach 120 Minuten, nach mehreren englischen Wochen noch ein letzter Sprint von der Mittellinie in Richtung unseres Torwarts im Tank ist. Ekstase. Umarmung des Kapitäns, der Spieler. Dieses Gefühl am Ziel zu sein, etwas gewonnen und erreicht zu haben. Etwas, das bleibt. Es hat Suchtpotenzial.

Es gibt ein Video von Jürgen Klopp nach dem gewonnenen Champions-League-Finale 2019. Nach dem Schlusspfiff läuft er mehrere Minuten über das Feld und herzt jeden seiner Spieler, jeden seines Staffs. Wenn ich dieses Video schaue, will ich wieder diesen Moment erleben. Zuletzt lief „The Last Dance“ bei Netflix. Wenn ich sehe, wie sechs Mal die letzte Sirene der jeweiligen Finalserie ertönt und erwachsene Männer über das Spielfeld hüpfen, will ich wieder diesen Moment erleben.

Eine Sehnsucht, die nie endet

Das Finale, das heute hätte stattfinden sollen, wäre nicht die Champions League gewesen und schon gar nicht die NBA. Aber in unserer Welt, der Welt des Amateurfußball ist es auch der Tag für den Titel. Nicht weniger Emotionen, nicht weniger Bedeutung für jeden, der an diesem Tag teilnimmt. Einer meiner jungen Spieler kam letztes zu mir und hat gesagt, dass er noch nie einen richtigen Titel gewonnen habe und es ihm egal wäre, welcher es wäre. Er wolle nur unbedingt einen Titel gewinnen. Ich weiß, warum er sich danach sehnt.

Wenn der Wettkampf fehlt, ist Wettkampf alles

Wie Corona-Training am meisten Spaß macht

Sport bedeutet meistens auch Wettkampf. Sich mit anderen zu messen, liegt in der Natur eines Sportlers. Der direkte Vergleich spornt zu Höchstleistungen an, kitzelt die letzten Prozent heraus. In Zeiten, in denen durch den fehlenden Körperkontakt, durch fehlende Zweikämpfe das normale Fußballspiel im Training unter der Woche und im Wettkampf am Wochenende nicht möglich ist, sind die Trainer gefragt, mit kreativen Wettkämpfen im Training für genau den Wettbewerb zu sorgen, der den Spielern so fehlt. Der Spaß sollte dabei an erster Stelle stehen. Durch das Durchführen von Wettbewerben kann ich als Trainer aktuell trotz aller Einschränkungen das Maximum aus einem Fußballtraining herausholen. Aber auch individuelle Technikübungen sorgen für die notwendigen Trainingsreize.

Torschuss

Wettkampfsituationen durch Torschussübungen zu erzeugen, ist vermutlich der einfachste Weg, seine Spieler zu motivieren. Hier gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Der Vorteil des Kleingruppentrainings in Corona-Zeiten ist die hohe Wiederholungszahl und damit mögliche Verknüpfung einer Torschussübung mit Ausdauerkomponenten. Beispiel: Zwei Tore mit je einem Torhüter auf der Grundlinie platzieren, zwei Teams (2, 3, oder max. 4 Spieler), 8 Minuten Zeit aufgeteilt auf zwei oder vier Wiederholungen. Kurzes Andribbeln, eine Finte und Abschluss außerhalb des Strafraums. Durch die begrenzte Anzahl an Bällen werden die Spieler dazu gezwungen, sich ihre Bälle wiederzuholen. Dadurch arbeiten sie, ohne groß darüber nachzudenken, an ihrer fußballspezifischen Ausdauer.

Diese Art Wettkampf ist natürlich in vielen weiteren Formen möglich. Der Torschuss eignet sich übrigens auch als Checkout eines Trainings. Nur wer beim abschließenden Schießen ein oder zwei Treffer erzielt, hat Trainingsende. Die letzten vier müssen sich zum Beispiel ums Material kümmern.

Athletik und Koordination im Parcours mit Ball

Auch in diesem Bereich kann ich durch Wettkampfformen Trainingsreize setzen, wenn ein normales Fußballspiel nicht dafür sorgen kann. Beispiel: Wieder empfiehlt sich die Aufteilung in zwei Teams (2, 3, oder max. 4 Spieler). Je Gruppe eine Koordinationsleiter platzieren (auch gerne mit lateraler Auftaktbewegung), dahinter einen Ball ablegen, und zwei kleine Hütchenslaloms aufbauen. Hinter dem letzten Teilstück mit 10 bis 15 Metern Abstand ein Mini-Tor aufstellen.

Die Spieler bewegen sich nach Vorgabe durch die Leiter (Übung kann varrieren), nehmen den Ball mit dem Fuß mit, dribbeln vorwärts durch den ersten Slalom-Parcours und ziehen den Ball mit der Sohle rückwärts durch den zweiten. Aus der Drehung müssen sie in das Mini-Tor passen/schießen. Gelingt ein Treffer, holen sie den Ball aus dem Tor, dribbeln zurück und legen den Ball wieder vor der Leiter ab. Erst dann darf der Teamkollege starten. Gelingt kein Treffer, muss der Ball geholt werden und vom selben Punkt aus erneut auf das Mini-Tor gepasst/geschossen werden, usw..

Das Team, das als erstes drei Durchgänge absolviert hat, gewinnt. Das Verlierer-Team muss zum Beispiel 10 Burpees absolvieren. Auch hier sind so viele unterschiedliche Varianten mit mehreren koordinativen Aufgabenstellungen möglich. Wichtig ist, dass in der aktuellen Phase ein Ball dabei ist. Parcours wirkt.

Technik

Der Bereich Technik ist einer der Schwerpunkte, die im normalen Trainingsalltag von Amateurfußballern oft zu kurz kommen. Bei zwei Einheiten in der Woche ist dafür schlichtweg zu wenig Zeit. Das ist derzeit anders. Durch das Kleingruppentraining ist eine hohe Anzahl an Wiederholungen möglich und Technikübungen sind in jeder Woche integrierbar. Passspiel mit Erstkontakt als Schwerpunkt steht bei mir persönlich ebenso auf der Liste ganz oben wie Ballführung und koordinativ anspruchsvolle Dribbling-Aufgaben. Hier habe ich mir Inspiration von Nate Weiss, dem Invidualtrainer des 1. FC Nürnberg geholt (Blogpost zu dem Thema hier). Die Spieler werden durch die technische Komplexität herausgefordert und dadurch der Ehrgeiz geweckt. Die Übungen von Nate Weiss sind aufgrund ihrer Abläufe zudem sehr anstrengend. Vier Wiederholungen à 30 Sekunden mit jeweils 15 Sekunden Pause bieten sich an. Und davon 2-3 Sätze.

Eine 90-minütige Einheit muss aktuell sehr sorgfältig geplant sein. Die Spieler werden in kleine Gruppen eingeteilt und in unterschiedlichen Schwerpunkten gefordert. Meine Beobachtung ist, dass gerade der Wettkampf und die Herausforderung ein großer Anreiz sind, auch ohne Spiele am Wochenende Vollgas zu geben. Wichtig ist, dass man in den kommenden Wochen ohne Körperkontakt im Training kreativ bleibt und immer wieder neue Übungen einbaut. Abwechslung ist enorm wichtig, um die Motivation der Spieler im Training hochzuhalten.

Das erste Mal

Über das erste Corona-Training und neue Chancen

Ich war aufgeregt wie ein kleiner Junge. Mit einem fetten Grinsen und lauter Musik bin ich zum Sportplatz gefahren. Bereits auf dem Parkplatz wartete unser Teammanager „Heinsi“, der mich in den kommenden Wochen zwangsläufig auch bei der Trainingsarbeit unterstützen wird. Wieder ein Grinsen. „Ich habe Bock.“ „Ich auch.“ Auf zum Platz.

Vor uns trainierte niemand. Wir konnten also alles aufbauen. Welch ein Segen! Langsam trudelten die ersten Spieler ein. Begrüßung auf Zuruf oder mit dem ausgestreckten Fuß. Wieder ganz viele grinsende Gesichter. Es war wie ein erster Schultag nach sechs Wochen Sommerferien, ein erstes Treffen mit einem langjährigen Schwarm oder der erste Urlaubstag, auf den man lange gewartet hat. Unterm Strich aber gibt es keinen so richtig passenden Vergleich. Es hat gekribbelt, die Vorfreude war groß, und alles andere war dabei fast egal.

Detaillierte Trainingsplanung wird noch wichtiger

Und doch ist es ungewohnt. Kein Handschlag, keine kurze Umarmung, keine Zweikämpfe, kein Spiel. Das neue Training ist gewöhnungsbedürftig und bedarf ausführlicher Vorbereitung. Zum Start konnten wir auf dem ganzen Platz trainieren, teilten die Mannschaft in vier Gruppen ein, die im Wechsel an vier Stationen üben sollten. Jede Station wurde von einem Trainer betreut. Technik, Koordination, Kraft und Torschuss waren es beim Auftakt. Pro Station 18 Minuten, dann kurze Pause und Wechsel.

So stand es zumindest auf dem Plan im Notizbuch. Doch diese Art von Training zu planen, ist auch für mich neu. Eine Ansprache nach 65 Tagen ohne einander, weitere Aufklärung über die Corona-Spielregeln, Erklärungen des Ablaufes – all das kostet Zeit, selbst wenn vieles davon vorher in der Mannschaftsgruppe stand. Am Ende mussten wir 20 Minuten überziehen, damit jede Gruppe jede Station einmal absolvieren konnte.

Aber das war an diesem Abend irgendwie egal. Es war auch egal, dass der Ball nicht bei jedem immer freundschaftlich am Fuß klebte, dass nicht jeder Schuss aufs Tor ging oder jeder Antritt mit voller Geschwindigkeit absolviert wurde. Es ging an diesem Abend ums Wiedersehen, ums Miteinander, um eine stückweite Rückkehr zur Normalität. Wie auch immer diese aussehen wird. Keine Fußballpause war jemals so lang wie diese. Keiner von uns konnte sich in den vergangenen Wochen in einem solchen Rahmen sehen.

Kleingruppen-Training als Chance verstehen, nicht als Hürde

Dieses Gefühl wird vielleicht noch zwei bis drei Einheiten anhalten, bis jeder realisiert, dass das Training nicht auf ein Spiel oder eine ganze Saison vorbereitet. Doch diesen Dämpfer will ich nicht zulassen. Die Phase jetzt ist eine einzigartige Chance, höchstindividuell an Schwächen zu arbeiten und an Stärken zu feilen. Das Training in kleinsten Gruppen ermöglicht eine Vielzahl an Wiederholungen. Etwas, das im Trainingsalltag oft nur schwer zu integrieren ist. Zu sehr wird man getrieben von Ergebnissen und Spielvorbereitungen.

Wenn ein Großteil meiner Spieler in ein paar Wochen auch nur etwas besser ist, als er es vor diesem Mittwoch war, dann hat sich diese Zeit allein aus sportlicher Sicht schon gelohnt. Dass jeder die Aufnahme des Trainingsbetriebs aus sozialen Gründen dringend gebraucht hat, steht dabei sowieso außer Frage. Oder warum habe ich den Sportplatz sonst mit einem ebenso fetten Grinsen wie zu Beginn wieder verlassen.

Matchday: Eine Vermisstenanzeige

Wenn am Wochenende Punktspiel wäre

Es ist Samstag. Eigentlich Matchday, wie es neudeutsch so schön heißt. Doch der Wecker klingelt nicht. Er tut es an vermeintlichen Spieltagen schon seit Wochen nicht mehr. Laut Spielplan ginge es heute gegen den Tabellenführer SC Victoria 2. Daheim haben wir gegen diese starke Mannschaft von drei Duellen zwei gewonnen. Zuletzt vor fast genau einem Jahr. Was wäre, wenn der Wecker doch klingeln würde.

Es ist 8:30 Uhr. Ich bin sofort wach, verspüre trotz unruhigem Schlaf keinerlei Müdigkeit. Noch drei Stunden bis zum Anpfiff. Mein Magen grummelt. Das tut er immer, wenn es um Punkte geht. Kein Frühstück, weil ich nichts runterbekomme. Ich ziehe meine Trainingshose an und eine Trainingsjacke oder einen Hoodie. Das hängt ganz davon ab, ob wir in dem Outfit in der Vorwoche gewonnen oder verloren haben. Mein einziger Aberglaube.

„Heinsi“ und J Balvin

Ich fahre zum Platz. Der Parkplatz ist leer. Es ist ja noch früh. Noch zweieinhalb Stunden bis zum Anpfiff. Nur ein Auto ist schon da. Das von unserem Teammanager „Heinsi“. Er baut bereits alles für den Verkauf auf, als ich am Platz ankomme. Wir grinsen uns an und fragen den jeweils anderen nach dessem Gefühl für das anstehende Spiel. So ist es immer an einem Samstag, wenn Heimspiel ist. Ich gehe in die Kabine, stelle meine Tasche ab, setze meine Kopfhörer auf und auf Spotify läuft Reggaeton.

Ich schnappe mir die Eckfahnen aus dem Platzwartraum, einen Schraubenzieher, um die oft festsitzenden Eckfahnen-Klappen des Kunstrasens öffnen zu können und drehe meine erste Runde. Eckfahne für Eckfahne mit J Balvin auf den Ohren. Ich singe leise mit, zumindest die Passagen, die ich mit meinen Spanischkenntnissen mitsingen kann. „Me decido por ti, te decides por mí. A la misma hora“.

Es ist für mich einer der schönsten Momente der Woche, alleine über den Platz zu gehen, die Eckfahnen und das Aufwärmen aufzubauen, die Netze zu checken und mich von der Morgensonne blenden zu lassen. Irgendwie steht in diesen Momenten die Zeit still. In einem wächst die Vorfreude auf die Jungs, das Spiel, den Wettkampf und die Emotionen, aber anders als 90 Minuten später ist man noch frei, sorglos. Es ist wie eine kurze Meditation, die pure Idylle.

Ich gehe zurück zur Kabine. „Yo Perreo Sola“ von Bad Bunny dröhnt durch die Kopfhörer. Noch 45 Minuten, bis die Spieler eintreffen, noch zwei Stunden bis zum Anpfiff. Ich stelle die Taktiktafel auf, platziere die Magneten auf dem weißen Untergrund und bringe sie in die entsprechende Formation. Häufig fällt mir zu diesem Zeitpunkt noch irgendwas ein, was ich in der Besprechung sagen möchte. Ab und an entscheide ich erst jetzt endgültig über die Aufstellung.

Quatschköpfe und Schluffis

Die Gegner treffen ein. Ein kurzer Plausch mit dem Trainer über die Liga, die letzten Gegner, den Tabellenstand. Schlüsselübergabe. „In welchen Farben spielt ihr heute?“ „Weißes Trikot, blaue Hose, weiße Stutzen.“ Weiter geht’s. Die ersten meiner Spieler schlendern zum Platz. Es sind meistens dieselben, die früh kommen. Mein Kapitän Henning, Rechtsverteidiger Niels, Sechser Laxx. Sie stellen ihre Taschen in der Kabine ab, jeder an seinem bevorzugten Platz. Ich schaue ihnen dabei zu. Weitere Spieler kommen. Abklatschen, in die Augen gucken. Quatschköpfe bleiben Quatschköpfe und Schluffis bleiben Schluffis. Nicht bei jedem kann ich mir zu diesem Zeitpunkt vorstellen, dass sie wenig später Vollgas geben können – und doch werden sie es tun. Noch 75 Minuten bis zum Anpfiff.

Ich schicke die Jungs zum Umziehen in die Kabine. Kurze Info, in welchen Trikots heute gespielt wird. Die ersten panischen Blicke, ob sie vielleicht etwas vergessen haben und fünf Euro oder mehr zahlen müssen. Dann das erleichternde Durchatmen, wenn sie in den Tiefen ihrer Sporttasche doch noch das Aufwärmshirt gefunden haben. Nicht selten ist es dann ungewaschen.

Franzbranntwein und Schaum vor dem Mund

Ich ziehe mich mit meinen Co-Trainern zurück, bespreche letzte Details. Aus der Kabine tönt der wohl schrägste Musikmix, den es gibt. Jeder darf bei Kabinen-DJ Yannik seine Wünsche einreichen und dann läuft die Playlist einfach im Zufallsmodus. Apache folgt auf Fort Minor, Elektro auf HipHop. Ich mag das. Nach 20 Minuten Umziehen gehe ich in die Kabine zurück. Der Geruch hat sich verändert. Eine Mischung aus ungewaschenen Shirts, Franzbranntwein von Allgäuer Latschenkiefer, die Torwarthandschuhe von Keeper Nico und Schweiß von 19-Jährigen, die den Deoroller nur aus der Werbung zu kennen scheinen. Ein großartiger Geruch. Er ist einmalig.

Ich beginne meine Ansprache. Ein paar Informationen zum Gegner, zu einzelnen Spielern. Nur das, was wirklich relevant ist. Der Fokus liegt auf uns. Wie verhalten wir uns bei eigenem Ballbesitz? Was machen wir, wenn der Gegner wo den Ball hat? Wann pressen wir, wann ziehen wir uns zurück? Ich schaue meinen Spielern in die Gesichter, während ich rede. Der eine nickt und hat bereits Schaum vor dem Mund. Der andere schaut auf den Boden. Ein weiterer gähnt. Ich liebe es.

Notizbuch und Familie

Die Jungs gehen raus auf den Platz. Meine Co-Trainer übernehmen das Aufwärmen. Manchmal gehe ich zu Beginn kurz mit raus, schaue auf die andere Platzhälfte, wer beim Gegner vielleicht fehlt. Dann gehe ich wieder in die Kabine, zücke mein Notizbuch und trage die Standards ein. Ich bin allein. Es ist der letzte Moment der Ruhe. Noch 25 Minuten bis zum Anpfiff.

Kurz bevor die Startelf wieder in die Kabine kommt, gehe ich noch einmal raus, begrüße den Schwiegervater meines Kapitäns, meinen Bruder, meine Mutter und einen Spielervater, der wie bei jedem Heimspiel bereits seinen dritten Kaffee in der Hand hält. Es ist Bezirksliga. Es ist Samstagvormittag und trotzdem kommen alle zwei Wochen dieselben Menschen zu unseren Spielen. Es ist eine große Familie. Und wie es sich in einer Familie gehört, klatscht jeder Spieler mit den bereits anwesenden Zuschauern, die sich am Verkaufsstand tummeln, ab.

Klebrige Haut und Spielerkreis

Die Jungs schwitzen, ziehen sich ihre Aufwärmshirts aus und kämpfen beim Anziehen der Trikots mit der klebrigen Haut und dem künstlichen Stoff ihres Jerseys. Ein paar gehen noch einmal auf die Toilette, andere greifen nach einem Stück Apfel oder einem Müsliriegel, liebevoll drapiert von unserem Betreuer Andreas. Anders als noch beim Treffpunkt sind jetzt wirklich alle fokussiert, auch Quatschkopf und Schluffi. Wir besprechen die Standards, es wird laut, es wird geklatscht, es geht raus. Noch fünf Minuten bis zum Anpfiff.

Ich gehe als Letzter, schließe die Kabine hinter mir ab. Händeschütteln mit weiteren Zuschauern und ab auf die andere Seite des Platzes zur Trainerbank. Hier hat Andreas zwei Stühle aufgestellt. Die Auswechselspieler sammeln noch die letzten Bälle ein. Leider sind es immer die älteren und nicht die jüngsten, die sich dafür verantwortlich fühlen. Die Teams laufen und stellen sich nebeneinander auf. Shakehands. Spielerkreis vor der Bank mit dem gesamten Staff. Jetzt spricht ein Spieler. Es wird wieder laut. „Los, Männer!“

Herzrasen und Ruhepuls

Beide Mannschaften stehen auf dem Platz, sind bereit, lechzen nach dem Anpfiff. 45 Minuten lang schlägt das Herz mit vollem Tempo. Ein Tor hier, ein Tor da. Chancen, Zweikämpfe, Fouls, Pfiffe des Schiedsrichters. Es gibt Wortgefechte, auch zwischen den Bänken. Alle stehen unter Strom. Es ist ein großartiges Gefühl. Halbzeit.

Der Puls beruhigt sich. Ich gehe mit den Spielern in die Kabine. Ein kurzer Blickkontakt mit meinem Kapitän. Ein, zwei Worte. Für einen kurzen Augenblick lasse ich die Mannschaft in der Kabine allein. Auch die Spieler müssen sich kurz abkühlen. Dann spreche ich. Wir korrigieren ein paar Kleinigkeiten, aber viel ändern müssen wir nicht. Der Spitzenreiter tut sich schwer. Wir sind im Spiel. Keine Wechsel. Weiter geht’s.

Wieder rast 45 Minuten lang das Herz. Wir gehen in Führung, die Kraft lässt nach. Die Emotionen werden stärker. Beim Gegner ist es die Ungeduld, bei uns die Müdigkeit. Es fällt noch der Ausgleich, dann ist Schluss. Enttäuschung auf beiden Seiten, die bald einer gewissen Zufriedenheit weichen wird. Abklatschen auf dem Platz. Es ging hoch her, es wurde viel geredet und doch geben sich alle die Hände.

Bierchen und Mallorca-Träume

Im Kreis lobe ich die Einstellung der Mannschaft, betone, dass ein Punkt gegen den Spitzenreiter ein gutes Ergebnis ist. Die Gesichter meiner Spieler sagen etwas Anderes und innerlich bin auch ich noch enttäuscht. Wir gehen zur Kabine. Die Jungs begrüßen ihre Frauen, ihre Kumpels, ihre Familien.

Dann ein Geräusch, das die Enttäuschung schnell verschwinden lässt. Flaschen klimpern. Der Bierwart trägt einen Kasten vor die Kabine. Klack, Zisch. Das erste Bier ist geöffnet. Es ist Anfang Mai. In wenigen Wochen geht es nach Mallorca. Die Schönheit dieses Moments mit einem Bier in der Hand, der Sonne im Gesicht und der Playa de Palma vor dem geistigen Auge lassen das Spiel schnell vergessen. Wir stoßen an. Es wird gelacht.

Ich ziehe mich mit meinem Bier in der Hand etwas zurück, zücke mein Handy und trage das Ergebnis bei fussball.de ein. Der Puls hat sich beruhigt. Mein Blick verlässt das Display meines iPhones und sucht das Geschehen vor der Kabine. Ich sehe meine Jungs lachen. Ich sehe sie miteinander, mit ihren Freunden und Familien. Es ist das, was den Amateurfußball ausmacht. Ich vermisse es so sehr.

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