Ich war aufgeregt wie ein kleiner Junge. Mit einem fetten Grinsen und lauter Musik bin ich zum Sportplatz gefahren. Bereits auf dem Parkplatz wartete unser Teammanager „Heinsi“, der mich in den kommenden Wochen zwangsläufig auch bei der Trainingsarbeit unterstützen wird. Wieder ein Grinsen. „Ich habe Bock.“ „Ich auch.“ Auf zum Platz.
Vor uns trainierte niemand. Wir konnten also alles aufbauen. Welch ein Segen! Langsam trudelten die ersten Spieler ein. Begrüßung auf Zuruf oder mit dem ausgestreckten Fuß. Wieder ganz viele grinsende Gesichter. Es war wie ein erster Schultag nach sechs Wochen Sommerferien, ein erstes Treffen mit einem langjährigen Schwarm oder der erste Urlaubstag, auf den man lange gewartet hat. Unterm Strich aber gibt es keinen so richtig passenden Vergleich. Es hat gekribbelt, die Vorfreude war groß, und alles andere war dabei fast egal.
Detaillierte Trainingsplanung wird noch wichtiger
Und doch ist es ungewohnt. Kein Handschlag, keine kurze Umarmung, keine Zweikämpfe, kein Spiel. Das neue Training ist gewöhnungsbedürftig und bedarf ausführlicher Vorbereitung. Zum Start konnten wir auf dem ganzen Platz trainieren, teilten die Mannschaft in vier Gruppen ein, die im Wechsel an vier Stationen üben sollten. Jede Station wurde von einem Trainer betreut. Technik, Koordination, Kraft und Torschuss waren es beim Auftakt. Pro Station 18 Minuten, dann kurze Pause und Wechsel.
So stand es zumindest auf dem Plan im Notizbuch. Doch diese Art von Training zu planen, ist auch für mich neu. Eine Ansprache nach 65 Tagen ohne einander, weitere Aufklärung über die Corona-Spielregeln, Erklärungen des Ablaufes – all das kostet Zeit, selbst wenn vieles davon vorher in der Mannschaftsgruppe stand. Am Ende mussten wir 20 Minuten überziehen, damit jede Gruppe jede Station einmal absolvieren konnte.
Aber das war an diesem Abend irgendwie egal. Es war auch egal, dass der Ball nicht bei jedem immer freundschaftlich am Fuß klebte, dass nicht jeder Schuss aufs Tor ging oder jeder Antritt mit voller Geschwindigkeit absolviert wurde. Es ging an diesem Abend ums Wiedersehen, ums Miteinander, um eine stückweite Rückkehr zur Normalität. Wie auch immer diese aussehen wird. Keine Fußballpause war jemals so lang wie diese. Keiner von uns konnte sich in den vergangenen Wochen in einem solchen Rahmen sehen.
Kleingruppen-Training als Chance verstehen, nicht als Hürde
Dieses Gefühl wird vielleicht noch zwei bis drei Einheiten anhalten, bis jeder realisiert, dass das Training nicht auf ein Spiel oder eine ganze Saison vorbereitet. Doch diesen Dämpfer will ich nicht zulassen. Die Phase jetzt ist eine einzigartige Chance, höchstindividuell an Schwächen zu arbeiten und an Stärken zu feilen. Das Training in kleinsten Gruppen ermöglicht eine Vielzahl an Wiederholungen. Etwas, das im Trainingsalltag oft nur schwer zu integrieren ist. Zu sehr wird man getrieben von Ergebnissen und Spielvorbereitungen.
Wenn ein Großteil meiner Spieler in ein paar Wochen auch nur etwas besser ist, als er es vor diesem Mittwoch war, dann hat sich diese Zeit allein aus sportlicher Sicht schon gelohnt. Dass jeder die Aufnahme des Trainingsbetriebs aus sozialen Gründen dringend gebraucht hat, steht dabei sowieso außer Frage. Oder warum habe ich den Sportplatz sonst mit einem ebenso fetten Grinsen wie zu Beginn wieder verlassen.
Es ist Samstag. Eigentlich Matchday, wie es neudeutsch so schön heißt. Doch der Wecker klingelt nicht. Er tut es an vermeintlichen Spieltagen schon seit Wochen nicht mehr. Laut Spielplan ginge es heute gegen den Tabellenführer SC Victoria 2. Daheim haben wir gegen diese starke Mannschaft von drei Duellen zwei gewonnen. Zuletzt vor fast genau einem Jahr. Was wäre, wenn der Wecker doch klingeln würde.
Es ist 8:30 Uhr. Ich bin sofort wach, verspüre trotz unruhigem Schlaf keinerlei Müdigkeit. Noch drei Stunden bis zum Anpfiff. Mein Magen grummelt. Das tut er immer, wenn es um Punkte geht. Kein Frühstück, weil ich nichts runterbekomme. Ich ziehe meine Trainingshose an und eine Trainingsjacke oder einen Hoodie. Das hängt ganz davon ab, ob wir in dem Outfit in der Vorwoche gewonnen oder verloren haben. Mein einziger Aberglaube.
„Heinsi“ und J Balvin
Ich fahre zum Platz. Der Parkplatz ist leer. Es ist ja noch früh. Noch zweieinhalb Stunden bis zum Anpfiff. Nur ein Auto ist schon da. Das von unserem Teammanager „Heinsi“. Er baut bereits alles für den Verkauf auf, als ich am Platz ankomme. Wir grinsen uns an und fragen den jeweils anderen nach dessem Gefühl für das anstehende Spiel. So ist es immer an einem Samstag, wenn Heimspiel ist. Ich gehe in die Kabine, stelle meine Tasche ab, setze meine Kopfhörer auf und auf Spotify läuft Reggaeton.
Ich schnappe mir die Eckfahnen aus dem Platzwartraum, einen Schraubenzieher, um die oft festsitzenden Eckfahnen-Klappen des Kunstrasens öffnen zu können und drehe meine erste Runde. Eckfahne für Eckfahne mit J Balvin auf den Ohren. Ich singe leise mit, zumindest die Passagen, die ich mit meinen Spanischkenntnissen mitsingen kann. „Me decido por ti, te decides por mí. A la misma hora“.
Es ist für mich einer der schönsten Momente der Woche, alleine über den Platz zu gehen, die Eckfahnen und das Aufwärmen aufzubauen, die Netze zu checken und mich von der Morgensonne blenden zu lassen. Irgendwie steht in diesen Momenten die Zeit still. In einem wächst die Vorfreude auf die Jungs, das Spiel, den Wettkampf und die Emotionen, aber anders als 90 Minuten später ist man noch frei, sorglos. Es ist wie eine kurze Meditation, die pure Idylle.
Ich gehe zurück zur Kabine. „Yo Perreo Sola“ von Bad Bunny dröhnt durch die Kopfhörer. Noch 45 Minuten, bis die Spieler eintreffen, noch zwei Stunden bis zum Anpfiff. Ich stelle die Taktiktafel auf, platziere die Magneten auf dem weißen Untergrund und bringe sie in die entsprechende Formation. Häufig fällt mir zu diesem Zeitpunkt noch irgendwas ein, was ich in der Besprechung sagen möchte. Ab und an entscheide ich erst jetzt endgültig über die Aufstellung.
Quatschköpfe und Schluffis
Die Gegner treffen ein. Ein kurzer Plausch mit dem Trainer über die Liga, die letzten Gegner, den Tabellenstand. Schlüsselübergabe. „In welchen Farben spielt ihr heute?“ „Weißes Trikot, blaue Hose, weiße Stutzen.“ Weiter geht’s. Die ersten meiner Spieler schlendern zum Platz. Es sind meistens dieselben, die früh kommen. Mein Kapitän Henning, Rechtsverteidiger Niels, Sechser Laxx. Sie stellen ihre Taschen in der Kabine ab, jeder an seinem bevorzugten Platz. Ich schaue ihnen dabei zu. Weitere Spieler kommen. Abklatschen, in die Augen gucken. Quatschköpfe bleiben Quatschköpfe und Schluffis bleiben Schluffis. Nicht bei jedem kann ich mir zu diesem Zeitpunkt vorstellen, dass sie wenig später Vollgas geben können – und doch werden sie es tun. Noch 75 Minuten bis zum Anpfiff.
Ich schicke die Jungs zum Umziehen in die Kabine. Kurze Info, in welchen Trikots heute gespielt wird. Die ersten panischen Blicke, ob sie vielleicht etwas vergessen haben und fünf Euro oder mehr zahlen müssen. Dann das erleichternde Durchatmen, wenn sie in den Tiefen ihrer Sporttasche doch noch das Aufwärmshirt gefunden haben. Nicht selten ist es dann ungewaschen.
Franzbranntwein und Schaum vor dem Mund
Ich ziehe mich mit meinen Co-Trainern zurück, bespreche letzte Details. Aus der Kabine tönt der wohl schrägste Musikmix, den es gibt. Jeder darf bei Kabinen-DJ Yannik seine Wünsche einreichen und dann läuft die Playlist einfach im Zufallsmodus. Apache folgt auf Fort Minor, Elektro auf HipHop. Ich mag das. Nach 20 Minuten Umziehen gehe ich in die Kabine zurück. Der Geruch hat sich verändert. Eine Mischung aus ungewaschenen Shirts, Franzbranntwein von Allgäuer Latschenkiefer, die Torwarthandschuhe von Keeper Nico und Schweiß von 19-Jährigen, die den Deoroller nur aus der Werbung zu kennen scheinen. Ein großartiger Geruch. Er ist einmalig.
Ich beginne meine Ansprache. Ein paar Informationen zum Gegner, zu einzelnen Spielern. Nur das, was wirklich relevant ist. Der Fokus liegt auf uns. Wie verhalten wir uns bei eigenem Ballbesitz? Was machen wir, wenn der Gegner wo den Ball hat? Wann pressen wir, wann ziehen wir uns zurück? Ich schaue meinen Spielern in die Gesichter, während ich rede. Der eine nickt und hat bereits Schaum vor dem Mund. Der andere schaut auf den Boden. Ein weiterer gähnt. Ich liebe es.
Notizbuch und Familie
Die Jungs gehen raus auf den Platz. Meine Co-Trainer übernehmen das Aufwärmen. Manchmal gehe ich zu Beginn kurz mit raus, schaue auf die andere Platzhälfte, wer beim Gegner vielleicht fehlt. Dann gehe ich wieder in die Kabine, zücke mein Notizbuch und trage die Standards ein. Ich bin allein. Es ist der letzte Moment der Ruhe. Noch 25 Minuten bis zum Anpfiff.
Kurz bevor die Startelf wieder in die Kabine kommt, gehe ich noch einmal raus, begrüße den Schwiegervater meines Kapitäns, meinen Bruder, meine Mutter und einen Spielervater, der wie bei jedem Heimspiel bereits seinen dritten Kaffee in der Hand hält. Es ist Bezirksliga. Es ist Samstagvormittag und trotzdem kommen alle zwei Wochen dieselben Menschen zu unseren Spielen. Es ist eine große Familie. Und wie es sich in einer Familie gehört, klatscht jeder Spieler mit den bereits anwesenden Zuschauern, die sich am Verkaufsstand tummeln, ab.
Klebrige Haut und Spielerkreis
Die Jungs schwitzen, ziehen sich ihre Aufwärmshirts aus und kämpfen beim Anziehen der Trikots mit der klebrigen Haut und dem künstlichen Stoff ihres Jerseys. Ein paar gehen noch einmal auf die Toilette, andere greifen nach einem Stück Apfel oder einem Müsliriegel, liebevoll drapiert von unserem Betreuer Andreas. Anders als noch beim Treffpunkt sind jetzt wirklich alle fokussiert, auch Quatschkopf und Schluffi. Wir besprechen die Standards, es wird laut, es wird geklatscht, es geht raus. Noch fünf Minuten bis zum Anpfiff.
Ich gehe als Letzter, schließe die Kabine hinter mir ab. Händeschütteln mit weiteren Zuschauern und ab auf die andere Seite des Platzes zur Trainerbank. Hier hat Andreas zwei Stühle aufgestellt. Die Auswechselspieler sammeln noch die letzten Bälle ein. Leider sind es immer die älteren und nicht die jüngsten, die sich dafür verantwortlich fühlen. Die Teams laufen und stellen sich nebeneinander auf. Shakehands. Spielerkreis vor der Bank mit dem gesamten Staff. Jetzt spricht ein Spieler. Es wird wieder laut. „Los, Männer!“
Herzrasen und Ruhepuls
Beide Mannschaften stehen auf dem Platz, sind bereit, lechzen nach dem Anpfiff. 45 Minuten lang schlägt das Herz mit vollem Tempo. Ein Tor hier, ein Tor da. Chancen, Zweikämpfe, Fouls, Pfiffe des Schiedsrichters. Es gibt Wortgefechte, auch zwischen den Bänken. Alle stehen unter Strom. Es ist ein großartiges Gefühl. Halbzeit.
Der Puls beruhigt sich. Ich gehe mit den Spielern in die Kabine. Ein kurzer Blickkontakt mit meinem Kapitän. Ein, zwei Worte. Für einen kurzen Augenblick lasse ich die Mannschaft in der Kabine allein. Auch die Spieler müssen sich kurz abkühlen. Dann spreche ich. Wir korrigieren ein paar Kleinigkeiten, aber viel ändern müssen wir nicht. Der Spitzenreiter tut sich schwer. Wir sind im Spiel. Keine Wechsel. Weiter geht’s.
Wieder rast 45 Minuten lang das Herz. Wir gehen in Führung, die Kraft lässt nach. Die Emotionen werden stärker. Beim Gegner ist es die Ungeduld, bei uns die Müdigkeit. Es fällt noch der Ausgleich, dann ist Schluss. Enttäuschung auf beiden Seiten, die bald einer gewissen Zufriedenheit weichen wird. Abklatschen auf dem Platz. Es ging hoch her, es wurde viel geredet und doch geben sich alle die Hände.
Bierchen und Mallorca-Träume
Im Kreis lobe ich die Einstellung der Mannschaft, betone, dass ein Punkt gegen den Spitzenreiter ein gutes Ergebnis ist. Die Gesichter meiner Spieler sagen etwas Anderes und innerlich bin auch ich noch enttäuscht. Wir gehen zur Kabine. Die Jungs begrüßen ihre Frauen, ihre Kumpels, ihre Familien.
Dann ein Geräusch, das die Enttäuschung schnell verschwinden lässt. Flaschen klimpern. Der Bierwart trägt einen Kasten vor die Kabine. Klack, Zisch. Das erste Bier ist geöffnet. Es ist Anfang Mai. In wenigen Wochen geht es nach Mallorca. Die Schönheit dieses Moments mit einem Bier in der Hand, der Sonne im Gesicht und der Playa de Palma vor dem geistigen Auge lassen das Spiel schnell vergessen. Wir stoßen an. Es wird gelacht.
Ich ziehe mich mit meinem Bier in der Hand etwas zurück, zücke mein Handy und trage das Ergebnis bei fussball.de ein. Der Puls hat sich beruhigt. Mein Blick verlässt das Display meines iPhones und sucht das Geschehen vor der Kabine. Ich sehe meine Jungs lachen. Ich sehe sie miteinander, mit ihren Freunden und Familien. Es ist das, was den Amateurfußball ausmacht. Ich vermisse es so sehr.
Ein Gespräch mit HSV U17-Trainer Pit Reimers über gemeinsame Zeiten und unveränderte Ziele
Es war am Ende der Sommerferien 2012, als Pit Reimers und ich das erste Mal aufeinandertrafen. Pit hatte gerade die U12 des HSV übernommen und suchte einen Testspielgegner. Ich, damals noch Trainer meines 2001er Jahrgangs, nahm die Anfrage an. Auf perfekt gemähtem 9er Feld in Norderstedt und bei rund 30 Grad Außentemperatur verloren wir 0:6. Es war unsere höchste Niederlage gegen den HSV, aber nicht die schlimmste.
In den Jahren danach folgten weitere unzählige Duelle, in denen wir immer mal nah dran waren, aber Pits HSV nie knacken konnten. Mal ein 0:0 in der Halle, mal eine knappe Niederlage auf dem Feld. Immer, wenn wir hofften, es einmal packen zu können, zeigten die Jungs uns die Grenzen auf. Den bittersten Moment erlebten wir bei der Hallenmeisterschaft 2013. Mit einem Sieg im letzten Spiel gegen den HSV hätte es mit dem Titel klappen können, es wurde ein 0:3 und die Vizemeisterschaft. „Es war nie so, dass wir nach Niendorf gefahren sind und die Punkte fest einplanen konnten. Es waren immer spannende Spiele“, erinnert sich der HSV-Coach.
Hallenmeisterschaft 2012/13
Besonderheit Jahrgang 2001
Trotz der vielen Niederlagen war die Bekanntschaft mit Pit ein Gewinn. Vermutlich auch gerade, weil er unsere Arbeit schätzte, den Austausch untereinander mochte und vorantrieb. „Das war eine tolle Zeit“, sagt der 36-Jährige heute und ich denke dasselbe. Insgesamt fünf Jahre begleitete er die 2001er des HSV – von der U12 bis in die U17. „Wenn du fünf Jahre mit einem Jahrgang verbringst, dann entsteht da eine ganz besondere Bindung.“ Ähnlich ist es bei mir und meinen 2001ern.
Als Pit und ich miteinander telefonieren und über die gemeinsame Zeit sprechen, gehen wir fast alle Spieler des HSV durch und philosophieren über viele weitere Spieler dieses für uns beide besonderen Jahrgangs. Es geht unter anderem um U19-Kapitän Jonah Fabisch, der mit den Profis des HSV trainiert, um Brooklyn Ezeh, der mittlerweile in Schalkes U19 spielt und um Lenny Borges der im vergangenen Sommer zum AC Mailand gewechselt war. Ich erinnere mich an jeden einzelnen von ihnen, an ihr schon früh erkennbares, außerordentliches Talent und die vielen Momente, in denen sie uns in die Verzweiflung trieben.
Pit hat mit ihnen und vielen weiteren noch Kontakt. Grund dafür ist nicht nur die gemeinsame Zeit im Nachwuchs des HSV, sondern vielmehr seine Art zu coachen. „Der Mensch steht für mich immer an erster Stelle“, erklärt er. „Ich will den Menschen für mich und meine Idee gewinnen, bevor ich mit dem Spieler über Laufwege spreche. Egal, wen ich in meinem Leben trainieren werde, mit dem Herzen zu führen und emphatisch zu sein, will ich mir immer beibehalten.“
Wir sprechen noch ein bisschen weiter über Spieler des Jahrgangs, über Jungs, die mittlerweile im Herrenbereich des Hamburger Amateurfußballs aktiv sind. Pit freut sich, als ich ihm erzähle, dass einige 2001er der ersten Stunde mittlerweile für mein Herrenteam spielen. Es sind dieselben, die im Sommer 2012 mit 0:6 gegen Pits HSV verloren. Dieselben, die im Februar 2013 im Finale um die Hallenmeisterschaft unterlagen. Wie die Zeit vergeht.
Pit und sein HSV
Zeit, in der Pit und der HSV immer weiter zusammengewachsen sind. Er ist derzeit für die U17 des Vereins verantwortlich, Jahrgang 2003. In der laufenden, wenngleich unterbrochenen Saison spielt er noch um die Meisterschaft in der B-Bundesliga Nord/Nordost. 2019 absolvierte er erfolgreich den DFB-Fußballlehrer, hospitierte in diesem Zusammenhang bei den Profis seines Vereins und auch bei Manchester City. Pit zählt zu den Trainertalenten, die in den Nachwuchsleistungszentren des Landes ausgebildet und gefördert werden.
„Ich durfte mich hier beim HSV in den vergangenen Jahren entwickeln und tue es immer noch. Ich bin Hamburger und HSVer. Dass ich hier in meinem Verein mein Hobby zum Beruf machen konnte, macht mich glücklich und stolz“, sagt der Fußballlehrer. Seine Verbundenheit ist spürbar. Das war sie während unserer gemeinsamen Zeit und das ist sie heute noch, wenn wir miteinander sprechen.
„Die Jungs in unser Stadion bringen“, so lautet eines von Pits Zielen, „mit roter Hose, blauen Stutzen und weißem Trikot.“ Es ist für mich nicht vorstellbar, dass Pit irgendwann nicht mehr beim HSV sein könnte. Er ist es schon seit 2007. Ich bin mir sicher, dass er genau hier seinen Weg weitergehen wird.
Zoom statt Torschusstraining
Doch aktuell ist auch er ausgebremst. Seine Jungs sieht er nur beim Cyber-Training via Zoom oder hört sie am Telefon. Kein Fußball wegen Corona. Mal gibt es eine Ball-Challenge, dann einen Laufplan. „Man muss das Beste aus der Situation machen“, sagt Pit, der auf eine Fortsetzung der Saison im Jugendfußball hofft.
Und während wir noch etwas über Corona, seine kurze Begegnung mit Pep Guardiola, Vincent Kompany und Dieter Hecking plaudern, erinnere ich mich an früher. Wie gern würde ich aktuell mit meinen Jungs auf der Paul-Hauenschild-Sportanlage stehen und mich auf ein Spiel gegen Pits HSV vorbereiten. So wie im Sommer 2012.
Ich habe mich schon einmal dabei ertappt, wie ich während eines Spiels zu meiner Rechten gesprochen habe, ohne dass dort neben mir jemand stand. Normalerweise steht da mein Co-Trainer. An besagtem Tag betreute ich die Mannschaft aber alleine an der Seitenlinie. Ohne meine Co-Trainer – ich habe zwei – bin ich aufgeschmissen. Es fehlt etwas. Co-Trainer sind das mittlere Stück eines großen Puzzles.
Ich liebe meine Co-Trainer. Sie unterstützen mich im Training, ermöglichen Gruppenteilungen für einzelne Übungen. Sie bringen zugleich eigene Ideen ein und setzen meine Vorgaben um. Meine Co-Trainer geben mir gleichzeitig Bestätigung und Widerspruch. Sie hinterfragen, tragen zur Entscheidungsfindung bei. Sie regen an, sie schlagen vor. Meine Co-Trainer müssen einiges aushalten.
Wenn wir über Aufstellungen sprechen, höre ich mir ihre Gedanken dazu an, entscheide trotzdem final allein. Sie akzeptieren das, tragen jede Entscheidung mit. Auch wenn sie vielleicht nicht derselben Meinung waren, sind sie es ab dem Moment, in dem ein Entschluss getroffen wurde. Loyalität ist die Stärke eines jeden Co-Trainers. Dafür empfinde ich nichts als Bewunderung und Dankbarkeit.
Ein Co-Trainer ermöglicht es dem Chefcoach erst, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Nur mit ihm an seiner Seite kann ein Trainer seine Leistung bringen. Ein Co-Trainer ist Sparringspartner während eines Spiels, Seelsorger danach, Euphoriebremse und Motivator. Meine Co-Trainer halten mir den Rücken frei, vor und nach dem Spiel, während des Trainings. Sie zaudern nicht, sie sind nie beleidigt. Sie halten alles aus und sind immer da.
Ich vertraue ihnen und sie vertrauen mir. Wie viel Stärke mir das bringt, wird mir immer wieder in kleinen Momenten bewusst. Dann, wenn ich mich nur auf das Eine konzentrieren kann, weil sie sich um das Andere kümmern. Ohne Co-Trainer bin ich nichts. Ich werde dafür immer dankbar sein. Danke ,Michi! Danke, Marco!
Eine Tour über die verwaisten Sportplätze der Hamburger Bezirksliga Nord
Es ist Dienstag. An jedem bisherigen März-Dienstag der vergangenen 14 Jahre habe ich mir Gedanken über das Training am Abend gemacht. Wie viele Spieler werden dort sein? Welchen Schwerpunkt wollen wir trainieren und welche Übungen sind dafür sinnvoll? An diesem Dienstag ist es anders. Der Ball ruht auf den Amateurfußballplätzen Hamburgs. Das Coronavirus hat auch den Sport fest umklammert. Der Trainerblock bleibt leer, die Spieler daheim.
Der Fußball scheint aktuell weit entfernt und doch ist da diese Sehnsucht, die sich in mir breitmacht, weil die Saison nach langer Winterpause gerade erst wieder Fahrt aufgenommen hatte. Ein Verlangen nach den Frotzeleien in der Kabine, den nervenaufreibenden Wettkämpfen auf dem Platz, nach der Intensität eines Spiels und dem kühlen Bier danach. Dieses Verlangen ist nicht zu stillen und doch versuche ich es. Ich setze mich in mein Auto und fahre los. Ich fahre zu jedem Platz der Bezirksliga Nord.
Der Parkplatz ist leer. Kein Mensch weit und breit. Auf dem ungekreideten Grandplatz des Puckaffer Wegs liegen herabgefallene Äste des letzten Sturms. Ein in die Jahre gekommenes Kleinfeldtor liegt auf seiner Rückseite im Dreck. Auf dem Kunstrasen ein paar Meter weiter stehen zwei weitere Kleinfeldtore mitten auf dem Platz. Normalerweise spielt hier der Duvenstedter SV um Punkte, Aufsteiger in die Bezirksliga Nord. Ich war erst zweimal hier. Am 26. April hätte unsere Rückrundenpartie gegen den DSV an Ort und Stelle stattfinden sollen. Duvenstedt steht aktuell auf einem Abstiegsplatz. Ich setze mich auf eine der am Spielfeldrand stehenden Bänke und blicke auf den leergefegten Kunstrasen. Natürlich ist der Fußball aktuell nichtig, aber in der Haut von Verantwortlichen der Teams, die eigentlich um den Klassenerhalt, die Meisterschaft oder den Aufstieg spielen, möchte ich derzeit nicht stecken. So viel Unsicherheit.
Ein paar Kilometer weiter. Ein ähnliches Bild. Der noch etwas ländlicher gelegene Kay-Weber-Platz des Hoisbütteler SV. Es ist kein Mensch zu sehen. Ab und zu passiert ein Fußgänger mit seinem Hund den Weg hinterm Fangzaun. Ein kurzer Gruß. „Moin!“ Vor der Winterpause gewannen wir hier mit 1:0. Es war der siebte Sieg in Serie. Er war nicht verdient. Damals dachte keiner, dass es nach der Winterpause nicht weitergehen würde. Es war das letzte Spiel, bevor das Coronavirus in China ausbrach. Heute wackelt die Anzeigetafel im Wind und wirft im kargen Sonnenlicht einen leichten Schatten auf den Platz. Wenn Hoisbüttel hier seine Heimspiele am Freitagabend austrägt, ist die Stimmung gut. Flutlicht. Der Bierwagen hat geöffnet, es riecht nach Bratwurst. Wie weit weg dieser Geruch auf einmal scheint.
Als ich am Saseler Parkweg vorfahre, sehe ich sofort den abgesperrten Parkplatz. Es ist alles dicht. Vor etwas mehr als einer Woche brannte hier sprichwörtlich der Kunstrasen. Das Aufeinandertreffen mit dem TSV Sasel 2 – es war das letzte Spiel vor der Corona-Pause. Eine intensive Partie. Hin und her. Viele Zweikämpfe, viele Emotionen. Fünf Tore, leider zu unseren Ungunsten verteilt. Ich stehe vor dem abgesperrten Tor. „Anlage gesperrt“. Ich blicke hinüber zur Trainerbank der Gäste. Ich erinnere mich genau, wie ich hier vor wenigen Tagen noch unter Adrenalin stand. Das Spiel hatte mich gepackt. Mensch, wie gerne würde ich das Herz bald wieder so schnell schlagen spüren.
Nur wenige Kilometer entfernt spielt der SC Poppenbüttel. Hier ist ebenfalls alles abgeriegelt. Der Platzwart nimmt mich in Empfang. Ein kurzer Plausch mit ausreichend Abstand. Vor mir liegt ein schöner neuer Kunstrasen, erst zu Jahresbeginn eingeweiht. Der altehrwürdige Rasenplatz an der Bültenkoppel musste künstlichem Grün weichen. An diesem Wochenende wären wir hier zu Gast gewesen. Ich hatte mich auf das Duell schon seit Wochen gefreut. Die Aufeinandertreffen mit dem SC waren immer körperbetont, immer emotional. Doch jetzt flattert hier rot-weißes Absperrband. „Bis bald“, sage ich zum Platzwart und fahre weiter nach Hamburg-Wellingsbüttel.
Am Infokasten neben dem Umkleidetrakt macht rote Schrift auf weißem Papier auf die Aussetzung des Sportbetriebes aufgrund des Coronavirus aufmerksam. „Bis zum 30. April findet kein Trainings- und Spielbetrieb statt“, heißt es. Die Worte sind bekannt, sie begegnen mir überall. Unser Gastspiel beim TSC Wellingsbüttel ist für den 10. Mai angesetzt. Aktuell ist es noch nicht abgesagt. Es wäre das erste Auswärtsspiel nach Beendigung der Platzsperre. Dass es stattfindet, halte ich für unwahrscheinlich. Ein paar Meter weiter liegt der Kunstrasenplatz, eingepfercht von einer hohen Lärmschutzwand, die den Anwohnern die sonntägliche Lärmbelästigung erträglicher machen soll. Im Hintergrund ist die italienische Flagge gehisst. Symbolischer könnte es kaum sein. Die italienischen Nationalfarben gehören zur Vereinsgastronomie. „Trattoria Con Calma“ heißt das Lokal. „In aller Ruhe“ aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt. Eine Botschaft, die vielen in Zeiten von Hamsterkäufen und Uneinsichtigkeit helfen würde. Nächster Halt: SC Sperber.
Als ich auf den Parkplatz am Heubergredder einbiege, spüre ich in mir dieselbe Hassliebe, die ich immer spüre, wenn ich beim SC Sperber bin. Auf dem alten Rasenplatz neben der U-Bahnstation Alsterdorf haben wir noch nie gewonnen. Jede Niederlage hat hier richtig wehgetan. Es ist egal, wo in der Tabelle wir oder Sperber stehen, hier gibt es nie etwas zu holen. Und auf der anderen Seite hat dieses alte Schmuckkästchen so viel Charme. Es ist echt. Die in die Jahre gekommene Holztribüne, die sich auf der einen Seite des Platzes erstreckt, die alten, miefigen Kabinenhäuschen, in denen wider Erwarten selbst das Bier nach einer Niederlage schmeckt und sogar der nervige Hügel vor dem hinteren Tor, der das Stellungsspiel eines jeden Gästetorwarts erschwert – all das macht diesen Platz zu einem Unikat, einer letzten Bastion vergangener Amateurfußballjahre in Hamburg.
Direkt am Zaun, der den alten Schotterparkplatz mit diversen Bodenlöchern und den Rasenplatz trennt, hängt ein Schild. „Der Platz ist gesperrt“, steht da. „Das ist er eigentlich immer“ denke ich. Nirgendwo fallen so regelmäßig die Spiele aus wie hier. Es ist fast zynisch, dass vermutlich genau jetzt, an diesem Wochenende ein Spiel hätte stattfinden können. Das Wetter ist die ganze Woche über gut. Der Platz müsste sich erholt haben. Es wäre der Abstiegsknaller gegen Teutonia 10 gewesen. Do or die. Jetzt heißt es weder noch.
Es geht von Alsterdorf weiter Richtung Stadt. An der Brucknerstraße in Barmbek-Süd liegt die Heimat des USC Paloma 2. Der Jonny Rehbein Platz ist abgeriegelt. Ein offizieller Ausdruck der Stadt Hamburg hängt laminiert am Zaun. Wieder werde ich vom Platzwart begrüßt. Er erzählt davon, dass er endlich die Möglichkeit hat, den Platz mal wieder richtig zu pflegen, neuen Sand zu verteilen und aufzuräumen. Ich erinnere mich an ihn. Vor vielen Jahren, als ich selbst noch gegen den Ball trat, gab er mir die Gelb-Rote Karte. Es war mein einziger Platzverweis als Spieler. Wir waren an der Brucknerstraße zu Gast, als hier noch ein Grandplatz war. Der Platzwart sprang als Schiedsrichter ein, weil der angesetzte Spielleiter nicht erschienen war. Aus Wut über den Platzverweis kickte ich ein Hütchen der Coachingzone weg und verfehlte nur knapp meine damalige Freundin. Es war keine leichte Woche für mich nach dieser Aktion.
Genau einen Kilometer entfernt vom USC Paloma spielt der SV Uhlenhorst Adler. Es ist die kürzeste Distanz zwischen zwei Vereinen der Bezirksliga Nord. An die Beethovenstraße komme ich immer gerne. Hier haben wir schon viele Spiele gewonnen, erst einmal verloren. Ich mag den urigen Platzwart, der mit seinem Dreirad das Gelände beherrscht und ich mag die neue Gastronomie, von dessen Terrasse aus, das bunte Treiben auf dem Platz an schönen Tagen mit einem Bierchen in der Hand zu beobachten ist. An diesem Tag zeugt nur das Dreirad des Platzwarts, das vor den Kabinen steht, von diesem Sportplatzalltag. Alles andere ist ruhig. Einzig die Baumaschinen, die den alten Kabinentrakt abreißen, laufen noch.
Es geht weiter nach Altona. In der Max-Brauer-Allee spielt der SC Teutonia 10. Er ist aufgrund der örtlichen Lage kein klassischer Nord-Bezirksligist, aber in diesem Jahr als Aufsteiger in unserer Liga dabei. Im Herbst haben wir hier dreckig 2:1 gewonnen. Auf dem festen Naturrasen wurde gegrätscht und gekämpft. Es roch nach Dreck und nach Gras. Heute sind die Tore des Karl Möller Platzes geschlossen. Elstern suchen auf dem Rasen nach Nahrung. Das Ambiente hat etwas Besonderes. Ich mag die Sportplätze, die inmitten urbaner Umgebung die Stellung halten. Von den Balkonen aus können die Anwohner an Wochenenden das Treiben beobachten. Jetzt gibt es hier nichts zu sehen.
Ähnlich dicht von Wohnhäusern umkreist ist der Walter-Wächter-Platz des FC Alsterbrüder. Lange Zeit war die Anlage in den aufgewirbelten Staub des alten Grandplatzes gehüllt, jetzt schmückt ein neuer Kunstrasen samt Tartanbahn das Areal. Auch die nach Keller und Moder riechenden Kabinen sind bereits abgerissen und werden aktuell durch Baucontainer ersetzt. Ein Zugang zum Platz ist auch hier nicht möglich. An einem großen Tor hängt ein Schild mit entsprechendem Hinweis. Ich stehe vor dem Eingang und denke an die vielen rassigen Duelle mit den Alsterbrüdern, an deren Trainer Gunnar, den ich sehr schätze, und an die Möglichkeiten im Aufstiegskampf, die sich der FCA dank einer unglaublichen Serie erspielt hat. Geht diese Serie noch weiter? Oder wird sie unliebsam für beendet erklärt? Wer weiß das aktuell schon.
Noch spannender ist die Situation am Stadion Hoheluft. Hier spielt der SC Victoria 2, aktuell Tabellenführer der Bezirksliga Nord – und das mit sechs Punkten Vorsprung. Kaum jemand hat Zweifel, dass „Vicky“ sich dieses Jahr die Meisterschaft geholt hätte. Und jetzt? Wird es überhaupt einen Meister geben? Hier, wo im Mai das Finale um den Hamburger LOTTO-Pokal stattfinden soll, wo schon so viele Vereine den Einzug in den DFB-Pokal gefeiert haben, sieht aktuell nichts danach aus. Auf dem großen, modernen Kunstrasen hat Victoria 2 in dieser Saison fast alle Mannschaften hergespielt. Auch wir hatten beim 0:3 im Herbst keine Chance. Ich stehe am Mittelkreis, blicke Richtung der ehrwürdigen, gelb und blau gefärbten Tribüne und würde es Trainerteam und Mannschaft so sehr gönnen, dass sie hier in diesem Jahr noch ihre verdiente Meisterschaft feiern dürfen.
Nach ein paar Abbiegungen erreiche ich den Tiefenstaaken, Heimspielstätte von Grün-Weiß Eimsbüttel. Statt von der Meisterschaft zu träumen, kämpft die Mannschaft, aktuell Vorletzter, um den Klassenerhalt. Es gibt fast keinen Platz in der Nord-Staffel, an dem man besser gegen den Abstieg kämpfen kann. Wenn GWE hier am Freitagabend seine Heimspiele austrägt, sorgt die Umgebung für die passende Atmosphäre. Die Flutlichtmasten stehen auf der einen Seite des Spielfeldes viel zu weit weg vom Platz. Es ist dunkler als anderswo. Auf der anderen Seite ragen die Hochhäuser der Lenzsiedlung empor. Der Platz ist klein. Niemand kommt hier gerne her, weil er weiß, dass Grün-Weiß daheim etwas Besonderes ist. Gästeteams drängen sich mit 18 Spielern samt Staff in der Sauna ähnlichen Kabine, in der Menschen mit mehr als 1,80 Metern Körpergröße nicht mehr stehen können. Es wäre ein Verlust für die Liga, wenn dieser Verein absteigen würde.
Aus dem tiefsten Eimsbüttel geht es weiter nach Eidelstedt, direkt an die A7, an den Rand des Niendorfer Geheges. Hier spielt der HFC Falke seine Heimspiele am Steinwiesenweg. Direkt neben dem Gymnasium Dörpsweg liegt die alte Sportanlage mit Rasenplatz und großer Laufbahn. Vor einigen Jahren absolvierten hier die Profis des HSV noch ihre Laktattests zum Vorbereitungsstart, jetzt spielt hier der Verein, der nach der Ausgliederung der HSV-Profiabteilung von enttäuschten Fans gegründet wurde.
An Heimspieltagen herrscht eine fröhliche, gemeinschaftliche Atmosphäre. Es wird gegrillt, Bier getrunken, Merchandise verkauft. Der Verein lebt von dieser Besonderheit, die weiterhin rund um ihn herrscht. Als ich die Stufen von den Kabinen zum Platz hinabgehe, erinnert nichts an ein solches Szenario. Im Hintergrund rauschen die Autos auf der A7 entlang, davor buddeln Bagger auf der Autobahnbaustelle und auf dem Spielfeld versorgen sich Vögel mit dem Nötigsten. Die Trainerbänke sind abgebaut und stehen am Rand. Die alte Lautsprecheranlage wackelt im Wind. Die Uhr steht still. Es könnte nicht besser zum aktuellen Bild passen.
Der Himmel wird grauer, als ich meine nächste Station erreiche. Am Sportplatz Siemershöh weht eine Hamburg-Fahne. Die Tore sind verschlossen. Das kleine Kartenhäuschen am Eingang erinnert an den Spieltagsbetrieb. 3 Euro kostet regulär die Karte, die hier sonntags verkauft wird, wenn der SC Alstertal-Langenhorn seine Heimspiele bestreitet. Im vergangenen Sommer spielten wir 0:0. Ein elendiger Kick. Und doch waren einige Zuschauer da, schauten von der alten Steintraverse aus zu, tranken ihr Bier, trafen ihre Freunde. Selbst ein 0:0 kann Spaß machen, wenn man denn spielen kann.
An deutlich mehr Tore erinnere ich mich, als ich auf den Parkplatz der Sportanlage des Glashütter SV fahre. Hier, wo sonst kaum ein freier Parkplatz zu finden ist, steht kein einziges Auto. Auch hier ist die Tür versperrt. Ein Zettel mit GSV-Logo und kurzem Hinweis hängt an der Pforte. 5:3 gewannen wir hier bei nasskaltem Wetter Ende September. Ein Spektakel. Wehmut kommt auf, als ich an die Verpflegung bei Glashütter Heimspielen denke. Hier gibt es die vermutlich beste Bratwurst der Bezirksliga Nord, frisch gegrillt von einem Glashütter Original, das immer einen flotten Spruch auf den Lippen hat, egal, wie es bei seiner Mannschaft gerade auf dem Platz läuft. Wann gibt es die nächste Bratwurst? Ich weiß es nicht.
Aus Norderstedt, wozu Glashütte gehört, geht es zurück. Die letzte Station steht auf dem Plan. Nächster Halt Bondenwald, Heimspielort meiner Mannschaft, dem Niendorfer TSV 3. Obwohl ich jede Woche hier bin und auch schon seit der Sperrung am Platz vorbei und durchs Niendorfer Gehege gelaufen bin, kribbelt es, als ich endlich ankomme. Ich stelle mich neben die Trainerbank, schaue aufs Spielfeld. Hier stehe ich jeden zweiten Samstag und lebe meine Leidenschaft. Vor ein paar Tagen hätten wir hier Paloma 2 empfangen sollen. Es war das erste Spiel, das dem Virus zum Opfer fiel. Mein Trainerkumpel Marius, der den USC betreut, und ich hatten bereits vor der Generalabsage beschlossen, nicht antreten zu wollen. Es wirkt, als sei das alles schon eine Ewigkeit her. Wie viel in dieser kurzen Zeit passiert ist.
Ich denke an meine Spieltagsroutine, wenn ich vor jedem anderen zum Platz komme, die Kabine aufschließe und meine Kopfhörer aufsetze. Wenn ich die Eckfahnen aufbaue, die Netze checke, die Bälle aufpumpe und die Hütchen fürs Aufwärmen platziere. Wenn ich die Magneten auf die Taktiktafel lege, den Spielbericht ausfülle, die Standards plane und wenn ich meine Jungs begrüße, jedem einzelnen dabei tief in die Augen schaue und seine Lust sehe. Seine Lust zu spielen. Es mag nicht lange her sein, dass ich das alles erleben konnte, aber es liegt so weit in der Ferne, es wieder erleben zu können. Fußball ist gerade nicht wichtig, aber er fehlt.