Wenn der Wettkampf fehlt, ist Wettkampf alles

Wie Corona-Training am meisten Spaß macht

Sport bedeutet meistens auch Wettkampf. Sich mit anderen zu messen, liegt in der Natur eines Sportlers. Der direkte Vergleich spornt zu Höchstleistungen an, kitzelt die letzten Prozent heraus. In Zeiten, in denen durch den fehlenden Körperkontakt, durch fehlende Zweikämpfe das normale Fußballspiel im Training unter der Woche und im Wettkampf am Wochenende nicht möglich ist, sind die Trainer gefragt, mit kreativen Wettkämpfen im Training für genau den Wettbewerb zu sorgen, der den Spielern so fehlt. Der Spaß sollte dabei an erster Stelle stehen. Durch das Durchführen von Wettbewerben kann ich als Trainer aktuell trotz aller Einschränkungen das Maximum aus einem Fußballtraining herausholen. Aber auch individuelle Technikübungen sorgen für die notwendigen Trainingsreize.

Torschuss

Wettkampfsituationen durch Torschussübungen zu erzeugen, ist vermutlich der einfachste Weg, seine Spieler zu motivieren. Hier gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Der Vorteil des Kleingruppentrainings in Corona-Zeiten ist die hohe Wiederholungszahl und damit mögliche Verknüpfung einer Torschussübung mit Ausdauerkomponenten. Beispiel: Zwei Tore mit je einem Torhüter auf der Grundlinie platzieren, zwei Teams (2, 3, oder max. 4 Spieler), 8 Minuten Zeit aufgeteilt auf zwei oder vier Wiederholungen. Kurzes Andribbeln, eine Finte und Abschluss außerhalb des Strafraums. Durch die begrenzte Anzahl an Bällen werden die Spieler dazu gezwungen, sich ihre Bälle wiederzuholen. Dadurch arbeiten sie, ohne groß darüber nachzudenken, an ihrer fußballspezifischen Ausdauer.

Diese Art Wettkampf ist natürlich in vielen weiteren Formen möglich. Der Torschuss eignet sich übrigens auch als Checkout eines Trainings. Nur wer beim abschließenden Schießen ein oder zwei Treffer erzielt, hat Trainingsende. Die letzten vier müssen sich zum Beispiel ums Material kümmern.

Athletik und Koordination im Parcours mit Ball

Auch in diesem Bereich kann ich durch Wettkampfformen Trainingsreize setzen, wenn ein normales Fußballspiel nicht dafür sorgen kann. Beispiel: Wieder empfiehlt sich die Aufteilung in zwei Teams (2, 3, oder max. 4 Spieler). Je Gruppe eine Koordinationsleiter platzieren (auch gerne mit lateraler Auftaktbewegung), dahinter einen Ball ablegen, und zwei kleine Hütchenslaloms aufbauen. Hinter dem letzten Teilstück mit 10 bis 15 Metern Abstand ein Mini-Tor aufstellen.

Die Spieler bewegen sich nach Vorgabe durch die Leiter (Übung kann varrieren), nehmen den Ball mit dem Fuß mit, dribbeln vorwärts durch den ersten Slalom-Parcours und ziehen den Ball mit der Sohle rückwärts durch den zweiten. Aus der Drehung müssen sie in das Mini-Tor passen/schießen. Gelingt ein Treffer, holen sie den Ball aus dem Tor, dribbeln zurück und legen den Ball wieder vor der Leiter ab. Erst dann darf der Teamkollege starten. Gelingt kein Treffer, muss der Ball geholt werden und vom selben Punkt aus erneut auf das Mini-Tor gepasst/geschossen werden, usw..

Das Team, das als erstes drei Durchgänge absolviert hat, gewinnt. Das Verlierer-Team muss zum Beispiel 10 Burpees absolvieren. Auch hier sind so viele unterschiedliche Varianten mit mehreren koordinativen Aufgabenstellungen möglich. Wichtig ist, dass in der aktuellen Phase ein Ball dabei ist. Parcours wirkt.

Technik

Der Bereich Technik ist einer der Schwerpunkte, die im normalen Trainingsalltag von Amateurfußballern oft zu kurz kommen. Bei zwei Einheiten in der Woche ist dafür schlichtweg zu wenig Zeit. Das ist derzeit anders. Durch das Kleingruppentraining ist eine hohe Anzahl an Wiederholungen möglich und Technikübungen sind in jeder Woche integrierbar. Passspiel mit Erstkontakt als Schwerpunkt steht bei mir persönlich ebenso auf der Liste ganz oben wie Ballführung und koordinativ anspruchsvolle Dribbling-Aufgaben. Hier habe ich mir Inspiration von Nate Weiss, dem Invidualtrainer des 1. FC Nürnberg geholt (Blogpost zu dem Thema hier). Die Spieler werden durch die technische Komplexität herausgefordert und dadurch der Ehrgeiz geweckt. Die Übungen von Nate Weiss sind aufgrund ihrer Abläufe zudem sehr anstrengend. Vier Wiederholungen à 30 Sekunden mit jeweils 15 Sekunden Pause bieten sich an. Und davon 2-3 Sätze.

Eine 90-minütige Einheit muss aktuell sehr sorgfältig geplant sein. Die Spieler werden in kleine Gruppen eingeteilt und in unterschiedlichen Schwerpunkten gefordert. Meine Beobachtung ist, dass gerade der Wettkampf und die Herausforderung ein großer Anreiz sind, auch ohne Spiele am Wochenende Vollgas zu geben. Wichtig ist, dass man in den kommenden Wochen ohne Körperkontakt im Training kreativ bleibt und immer wieder neue Übungen einbaut. Abwechslung ist enorm wichtig, um die Motivation der Spieler im Training hochzuhalten.

Das erste Mal

Über das erste Corona-Training und neue Chancen

Ich war aufgeregt wie ein kleiner Junge. Mit einem fetten Grinsen und lauter Musik bin ich zum Sportplatz gefahren. Bereits auf dem Parkplatz wartete unser Teammanager „Heinsi“, der mich in den kommenden Wochen zwangsläufig auch bei der Trainingsarbeit unterstützen wird. Wieder ein Grinsen. „Ich habe Bock.“ „Ich auch.“ Auf zum Platz.

Vor uns trainierte niemand. Wir konnten also alles aufbauen. Welch ein Segen! Langsam trudelten die ersten Spieler ein. Begrüßung auf Zuruf oder mit dem ausgestreckten Fuß. Wieder ganz viele grinsende Gesichter. Es war wie ein erster Schultag nach sechs Wochen Sommerferien, ein erstes Treffen mit einem langjährigen Schwarm oder der erste Urlaubstag, auf den man lange gewartet hat. Unterm Strich aber gibt es keinen so richtig passenden Vergleich. Es hat gekribbelt, die Vorfreude war groß, und alles andere war dabei fast egal.

Detaillierte Trainingsplanung wird noch wichtiger

Und doch ist es ungewohnt. Kein Handschlag, keine kurze Umarmung, keine Zweikämpfe, kein Spiel. Das neue Training ist gewöhnungsbedürftig und bedarf ausführlicher Vorbereitung. Zum Start konnten wir auf dem ganzen Platz trainieren, teilten die Mannschaft in vier Gruppen ein, die im Wechsel an vier Stationen üben sollten. Jede Station wurde von einem Trainer betreut. Technik, Koordination, Kraft und Torschuss waren es beim Auftakt. Pro Station 18 Minuten, dann kurze Pause und Wechsel.

So stand es zumindest auf dem Plan im Notizbuch. Doch diese Art von Training zu planen, ist auch für mich neu. Eine Ansprache nach 65 Tagen ohne einander, weitere Aufklärung über die Corona-Spielregeln, Erklärungen des Ablaufes – all das kostet Zeit, selbst wenn vieles davon vorher in der Mannschaftsgruppe stand. Am Ende mussten wir 20 Minuten überziehen, damit jede Gruppe jede Station einmal absolvieren konnte.

Aber das war an diesem Abend irgendwie egal. Es war auch egal, dass der Ball nicht bei jedem immer freundschaftlich am Fuß klebte, dass nicht jeder Schuss aufs Tor ging oder jeder Antritt mit voller Geschwindigkeit absolviert wurde. Es ging an diesem Abend ums Wiedersehen, ums Miteinander, um eine stückweite Rückkehr zur Normalität. Wie auch immer diese aussehen wird. Keine Fußballpause war jemals so lang wie diese. Keiner von uns konnte sich in den vergangenen Wochen in einem solchen Rahmen sehen.

Kleingruppen-Training als Chance verstehen, nicht als Hürde

Dieses Gefühl wird vielleicht noch zwei bis drei Einheiten anhalten, bis jeder realisiert, dass das Training nicht auf ein Spiel oder eine ganze Saison vorbereitet. Doch diesen Dämpfer will ich nicht zulassen. Die Phase jetzt ist eine einzigartige Chance, höchstindividuell an Schwächen zu arbeiten und an Stärken zu feilen. Das Training in kleinsten Gruppen ermöglicht eine Vielzahl an Wiederholungen. Etwas, das im Trainingsalltag oft nur schwer zu integrieren ist. Zu sehr wird man getrieben von Ergebnissen und Spielvorbereitungen.

Wenn ein Großteil meiner Spieler in ein paar Wochen auch nur etwas besser ist, als er es vor diesem Mittwoch war, dann hat sich diese Zeit allein aus sportlicher Sicht schon gelohnt. Dass jeder die Aufnahme des Trainingsbetriebs aus sozialen Gründen dringend gebraucht hat, steht dabei sowieso außer Frage. Oder warum habe ich den Sportplatz sonst mit einem ebenso fetten Grinsen wie zu Beginn wieder verlassen.

Matchday: Eine Vermisstenanzeige

Wenn am Wochenende Punktspiel wäre

Es ist Samstag. Eigentlich Matchday, wie es neudeutsch so schön heißt. Doch der Wecker klingelt nicht. Er tut es an vermeintlichen Spieltagen schon seit Wochen nicht mehr. Laut Spielplan ginge es heute gegen den Tabellenführer SC Victoria 2. Daheim haben wir gegen diese starke Mannschaft von drei Duellen zwei gewonnen. Zuletzt vor fast genau einem Jahr. Was wäre, wenn der Wecker doch klingeln würde.

Es ist 8:30 Uhr. Ich bin sofort wach, verspüre trotz unruhigem Schlaf keinerlei Müdigkeit. Noch drei Stunden bis zum Anpfiff. Mein Magen grummelt. Das tut er immer, wenn es um Punkte geht. Kein Frühstück, weil ich nichts runterbekomme. Ich ziehe meine Trainingshose an und eine Trainingsjacke oder einen Hoodie. Das hängt ganz davon ab, ob wir in dem Outfit in der Vorwoche gewonnen oder verloren haben. Mein einziger Aberglaube.

„Heinsi“ und J Balvin

Ich fahre zum Platz. Der Parkplatz ist leer. Es ist ja noch früh. Noch zweieinhalb Stunden bis zum Anpfiff. Nur ein Auto ist schon da. Das von unserem Teammanager „Heinsi“. Er baut bereits alles für den Verkauf auf, als ich am Platz ankomme. Wir grinsen uns an und fragen den jeweils anderen nach dessem Gefühl für das anstehende Spiel. So ist es immer an einem Samstag, wenn Heimspiel ist. Ich gehe in die Kabine, stelle meine Tasche ab, setze meine Kopfhörer auf und auf Spotify läuft Reggaeton.

Ich schnappe mir die Eckfahnen aus dem Platzwartraum, einen Schraubenzieher, um die oft festsitzenden Eckfahnen-Klappen des Kunstrasens öffnen zu können und drehe meine erste Runde. Eckfahne für Eckfahne mit J Balvin auf den Ohren. Ich singe leise mit, zumindest die Passagen, die ich mit meinen Spanischkenntnissen mitsingen kann. „Me decido por ti, te decides por mí. A la misma hora“.

Es ist für mich einer der schönsten Momente der Woche, alleine über den Platz zu gehen, die Eckfahnen und das Aufwärmen aufzubauen, die Netze zu checken und mich von der Morgensonne blenden zu lassen. Irgendwie steht in diesen Momenten die Zeit still. In einem wächst die Vorfreude auf die Jungs, das Spiel, den Wettkampf und die Emotionen, aber anders als 90 Minuten später ist man noch frei, sorglos. Es ist wie eine kurze Meditation, die pure Idylle.

Ich gehe zurück zur Kabine. „Yo Perreo Sola“ von Bad Bunny dröhnt durch die Kopfhörer. Noch 45 Minuten, bis die Spieler eintreffen, noch zwei Stunden bis zum Anpfiff. Ich stelle die Taktiktafel auf, platziere die Magneten auf dem weißen Untergrund und bringe sie in die entsprechende Formation. Häufig fällt mir zu diesem Zeitpunkt noch irgendwas ein, was ich in der Besprechung sagen möchte. Ab und an entscheide ich erst jetzt endgültig über die Aufstellung.

Quatschköpfe und Schluffis

Die Gegner treffen ein. Ein kurzer Plausch mit dem Trainer über die Liga, die letzten Gegner, den Tabellenstand. Schlüsselübergabe. „In welchen Farben spielt ihr heute?“ „Weißes Trikot, blaue Hose, weiße Stutzen.“ Weiter geht’s. Die ersten meiner Spieler schlendern zum Platz. Es sind meistens dieselben, die früh kommen. Mein Kapitän Henning, Rechtsverteidiger Niels, Sechser Laxx. Sie stellen ihre Taschen in der Kabine ab, jeder an seinem bevorzugten Platz. Ich schaue ihnen dabei zu. Weitere Spieler kommen. Abklatschen, in die Augen gucken. Quatschköpfe bleiben Quatschköpfe und Schluffis bleiben Schluffis. Nicht bei jedem kann ich mir zu diesem Zeitpunkt vorstellen, dass sie wenig später Vollgas geben können – und doch werden sie es tun. Noch 75 Minuten bis zum Anpfiff.

Ich schicke die Jungs zum Umziehen in die Kabine. Kurze Info, in welchen Trikots heute gespielt wird. Die ersten panischen Blicke, ob sie vielleicht etwas vergessen haben und fünf Euro oder mehr zahlen müssen. Dann das erleichternde Durchatmen, wenn sie in den Tiefen ihrer Sporttasche doch noch das Aufwärmshirt gefunden haben. Nicht selten ist es dann ungewaschen.

Franzbranntwein und Schaum vor dem Mund

Ich ziehe mich mit meinen Co-Trainern zurück, bespreche letzte Details. Aus der Kabine tönt der wohl schrägste Musikmix, den es gibt. Jeder darf bei Kabinen-DJ Yannik seine Wünsche einreichen und dann läuft die Playlist einfach im Zufallsmodus. Apache folgt auf Fort Minor, Elektro auf HipHop. Ich mag das. Nach 20 Minuten Umziehen gehe ich in die Kabine zurück. Der Geruch hat sich verändert. Eine Mischung aus ungewaschenen Shirts, Franzbranntwein von Allgäuer Latschenkiefer, die Torwarthandschuhe von Keeper Nico und Schweiß von 19-Jährigen, die den Deoroller nur aus der Werbung zu kennen scheinen. Ein großartiger Geruch. Er ist einmalig.

Ich beginne meine Ansprache. Ein paar Informationen zum Gegner, zu einzelnen Spielern. Nur das, was wirklich relevant ist. Der Fokus liegt auf uns. Wie verhalten wir uns bei eigenem Ballbesitz? Was machen wir, wenn der Gegner wo den Ball hat? Wann pressen wir, wann ziehen wir uns zurück? Ich schaue meinen Spielern in die Gesichter, während ich rede. Der eine nickt und hat bereits Schaum vor dem Mund. Der andere schaut auf den Boden. Ein weiterer gähnt. Ich liebe es.

Notizbuch und Familie

Die Jungs gehen raus auf den Platz. Meine Co-Trainer übernehmen das Aufwärmen. Manchmal gehe ich zu Beginn kurz mit raus, schaue auf die andere Platzhälfte, wer beim Gegner vielleicht fehlt. Dann gehe ich wieder in die Kabine, zücke mein Notizbuch und trage die Standards ein. Ich bin allein. Es ist der letzte Moment der Ruhe. Noch 25 Minuten bis zum Anpfiff.

Kurz bevor die Startelf wieder in die Kabine kommt, gehe ich noch einmal raus, begrüße den Schwiegervater meines Kapitäns, meinen Bruder, meine Mutter und einen Spielervater, der wie bei jedem Heimspiel bereits seinen dritten Kaffee in der Hand hält. Es ist Bezirksliga. Es ist Samstagvormittag und trotzdem kommen alle zwei Wochen dieselben Menschen zu unseren Spielen. Es ist eine große Familie. Und wie es sich in einer Familie gehört, klatscht jeder Spieler mit den bereits anwesenden Zuschauern, die sich am Verkaufsstand tummeln, ab.

Klebrige Haut und Spielerkreis

Die Jungs schwitzen, ziehen sich ihre Aufwärmshirts aus und kämpfen beim Anziehen der Trikots mit der klebrigen Haut und dem künstlichen Stoff ihres Jerseys. Ein paar gehen noch einmal auf die Toilette, andere greifen nach einem Stück Apfel oder einem Müsliriegel, liebevoll drapiert von unserem Betreuer Andreas. Anders als noch beim Treffpunkt sind jetzt wirklich alle fokussiert, auch Quatschkopf und Schluffi. Wir besprechen die Standards, es wird laut, es wird geklatscht, es geht raus. Noch fünf Minuten bis zum Anpfiff.

Ich gehe als Letzter, schließe die Kabine hinter mir ab. Händeschütteln mit weiteren Zuschauern und ab auf die andere Seite des Platzes zur Trainerbank. Hier hat Andreas zwei Stühle aufgestellt. Die Auswechselspieler sammeln noch die letzten Bälle ein. Leider sind es immer die älteren und nicht die jüngsten, die sich dafür verantwortlich fühlen. Die Teams laufen und stellen sich nebeneinander auf. Shakehands. Spielerkreis vor der Bank mit dem gesamten Staff. Jetzt spricht ein Spieler. Es wird wieder laut. „Los, Männer!“

Herzrasen und Ruhepuls

Beide Mannschaften stehen auf dem Platz, sind bereit, lechzen nach dem Anpfiff. 45 Minuten lang schlägt das Herz mit vollem Tempo. Ein Tor hier, ein Tor da. Chancen, Zweikämpfe, Fouls, Pfiffe des Schiedsrichters. Es gibt Wortgefechte, auch zwischen den Bänken. Alle stehen unter Strom. Es ist ein großartiges Gefühl. Halbzeit.

Der Puls beruhigt sich. Ich gehe mit den Spielern in die Kabine. Ein kurzer Blickkontakt mit meinem Kapitän. Ein, zwei Worte. Für einen kurzen Augenblick lasse ich die Mannschaft in der Kabine allein. Auch die Spieler müssen sich kurz abkühlen. Dann spreche ich. Wir korrigieren ein paar Kleinigkeiten, aber viel ändern müssen wir nicht. Der Spitzenreiter tut sich schwer. Wir sind im Spiel. Keine Wechsel. Weiter geht’s.

Wieder rast 45 Minuten lang das Herz. Wir gehen in Führung, die Kraft lässt nach. Die Emotionen werden stärker. Beim Gegner ist es die Ungeduld, bei uns die Müdigkeit. Es fällt noch der Ausgleich, dann ist Schluss. Enttäuschung auf beiden Seiten, die bald einer gewissen Zufriedenheit weichen wird. Abklatschen auf dem Platz. Es ging hoch her, es wurde viel geredet und doch geben sich alle die Hände.

Bierchen und Mallorca-Träume

Im Kreis lobe ich die Einstellung der Mannschaft, betone, dass ein Punkt gegen den Spitzenreiter ein gutes Ergebnis ist. Die Gesichter meiner Spieler sagen etwas Anderes und innerlich bin auch ich noch enttäuscht. Wir gehen zur Kabine. Die Jungs begrüßen ihre Frauen, ihre Kumpels, ihre Familien.

Dann ein Geräusch, das die Enttäuschung schnell verschwinden lässt. Flaschen klimpern. Der Bierwart trägt einen Kasten vor die Kabine. Klack, Zisch. Das erste Bier ist geöffnet. Es ist Anfang Mai. In wenigen Wochen geht es nach Mallorca. Die Schönheit dieses Moments mit einem Bier in der Hand, der Sonne im Gesicht und der Playa de Palma vor dem geistigen Auge lassen das Spiel schnell vergessen. Wir stoßen an. Es wird gelacht.

Ich ziehe mich mit meinem Bier in der Hand etwas zurück, zücke mein Handy und trage das Ergebnis bei fussball.de ein. Der Puls hat sich beruhigt. Mein Blick verlässt das Display meines iPhones und sucht das Geschehen vor der Kabine. Ich sehe meine Jungs lachen. Ich sehe sie miteinander, mit ihren Freunden und Familien. Es ist das, was den Amateurfußball ausmacht. Ich vermisse es so sehr.

„Die Jungs in unser Stadion bringen“

Ein Gespräch mit HSV U17-Trainer Pit Reimers über gemeinsame Zeiten und unveränderte Ziele

Es war am Ende der Sommerferien 2012, als Pit Reimers und ich das erste Mal aufeinandertrafen. Pit hatte gerade die U12 des HSV übernommen und suchte einen Testspielgegner. Ich, damals noch Trainer meines 2001er Jahrgangs, nahm die Anfrage an. Auf perfekt gemähtem 9er Feld in Norderstedt und bei rund 30 Grad Außentemperatur verloren wir 0:6. Es war unsere höchste Niederlage gegen den HSV, aber nicht die schlimmste.

In den Jahren danach folgten weitere unzählige Duelle, in denen wir immer mal nah dran waren, aber Pits HSV nie knacken konnten. Mal ein 0:0 in der Halle, mal eine knappe Niederlage auf dem Feld. Immer, wenn wir hofften, es einmal packen zu können, zeigten die Jungs uns die Grenzen auf. Den bittersten Moment erlebten wir bei der Hallenmeisterschaft 2013. Mit einem Sieg im letzten Spiel gegen den HSV hätte es mit dem Titel klappen können, es wurde ein 0:3 und die Vizemeisterschaft. „Es war nie so, dass wir nach Niendorf gefahren sind und die Punkte fest einplanen konnten. Es waren immer spannende Spiele“, erinnert sich der HSV-Coach.

Hallenmeisterschaft 2012/13
Besonderheit Jahrgang 2001

Trotz der vielen Niederlagen war die Bekanntschaft mit Pit ein Gewinn. Vermutlich auch gerade, weil er unsere Arbeit schätzte, den Austausch untereinander mochte und vorantrieb. „Das war eine tolle Zeit“, sagt der 36-Jährige heute und ich denke dasselbe. Insgesamt fünf Jahre begleitete er die 2001er des HSV – von der U12 bis in die U17. „Wenn du fünf Jahre mit einem Jahrgang verbringst, dann entsteht da eine ganz besondere Bindung.“ Ähnlich ist es bei mir und meinen 2001ern.

Als Pit und ich miteinander telefonieren und über die gemeinsame Zeit sprechen, gehen wir fast alle Spieler des HSV durch und philosophieren über viele weitere Spieler dieses für uns beide besonderen Jahrgangs. Es geht unter anderem um U19-Kapitän Jonah Fabisch, der mit den Profis des HSV trainiert, um Brooklyn Ezeh, der mittlerweile in Schalkes U19 spielt und um Lenny Borges der im vergangenen Sommer zum AC Mailand gewechselt war. Ich erinnere mich an jeden einzelnen von ihnen, an ihr schon früh erkennbares, außerordentliches Talent und die vielen Momente, in denen sie uns in die Verzweiflung trieben.

Pit hat mit ihnen und vielen weiteren noch Kontakt. Grund dafür ist nicht nur die gemeinsame Zeit im Nachwuchs des HSV, sondern vielmehr seine Art zu coachen. „Der Mensch steht für mich immer an erster Stelle“, erklärt er. „Ich will den Menschen für mich und meine Idee gewinnen, bevor ich mit dem Spieler über Laufwege spreche. Egal, wen ich in meinem Leben trainieren werde, mit dem Herzen zu führen und emphatisch zu sein, will ich mir immer beibehalten.“

Wir sprechen noch ein bisschen weiter über Spieler des Jahrgangs, über Jungs, die mittlerweile im Herrenbereich des Hamburger Amateurfußballs aktiv sind. Pit freut sich, als ich ihm erzähle, dass einige 2001er der ersten Stunde mittlerweile für mein Herrenteam spielen. Es sind dieselben, die im Sommer 2012 mit 0:6 gegen Pits HSV verloren. Dieselben, die im Februar 2013 im Finale um die Hallenmeisterschaft unterlagen. Wie die Zeit vergeht.

Pit und sein HSV

Zeit, in der Pit und der HSV immer weiter zusammengewachsen sind. Er ist derzeit für die U17 des Vereins verantwortlich, Jahrgang 2003. In der laufenden, wenngleich unterbrochenen Saison spielt er noch um die Meisterschaft in der B-Bundesliga Nord/Nordost. 2019 absolvierte er erfolgreich den DFB-Fußballlehrer, hospitierte in diesem Zusammenhang bei den Profis seines Vereins und auch bei Manchester City. Pit zählt zu den Trainertalenten, die in den Nachwuchsleistungszentren des Landes ausgebildet und gefördert werden.

„Ich durfte mich hier beim HSV in den vergangenen Jahren entwickeln und tue es immer noch. Ich bin Hamburger und HSVer. Dass ich hier in meinem Verein mein Hobby zum Beruf machen konnte, macht mich glücklich und stolz“, sagt der Fußballlehrer. Seine Verbundenheit ist spürbar. Das war sie während unserer gemeinsamen Zeit und das ist sie heute noch, wenn wir miteinander sprechen.

„Die Jungs in unser Stadion bringen“, so lautet eines von Pits Zielen, „mit roter Hose, blauen Stutzen und weißem Trikot.“ Es ist für mich nicht vorstellbar, dass Pit irgendwann nicht mehr beim HSV sein könnte. Er ist es schon seit 2007. Ich bin mir sicher, dass er genau hier seinen Weg weitergehen wird.

Zoom statt Torschusstraining

Doch aktuell ist auch er ausgebremst. Seine Jungs sieht er nur beim Cyber-Training via Zoom oder hört sie am Telefon. Kein Fußball wegen Corona. Mal gibt es eine Ball-Challenge, dann einen Laufplan. „Man muss das Beste aus der Situation machen“, sagt Pit, der auf eine Fortsetzung der Saison im Jugendfußball hofft.

Und während wir noch etwas über Corona, seine kurze Begegnung mit Pep Guardiola, Vincent Kompany und Dieter Hecking plaudern, erinnere ich mich an früher. Wie gern würde ich aktuell mit meinen Jungs auf der Paul-Hauenschild-Sportanlage stehen und mich auf ein Spiel gegen Pits HSV vorbereiten. So wie im Sommer 2012.

Das letzte Puzzleteil Co-Trainer

Ich habe mich schon einmal dabei ertappt, wie ich während eines Spiels zu meiner Rechten gesprochen habe, ohne dass dort neben mir jemand stand. Normalerweise steht da mein Co-Trainer. An besagtem Tag betreute ich die Mannschaft aber alleine an der Seitenlinie. Ohne meine Co-Trainer – ich habe zwei – bin ich aufgeschmissen. Es fehlt etwas. Co-Trainer sind das mittlere Stück eines großen Puzzles.

Ich liebe meine Co-Trainer. Sie unterstützen mich im Training, ermöglichen Gruppenteilungen für einzelne Übungen. Sie bringen zugleich eigene Ideen ein und setzen meine Vorgaben um. Meine Co-Trainer geben mir gleichzeitig Bestätigung und Widerspruch. Sie hinterfragen, tragen zur Entscheidungsfindung bei. Sie regen an, sie schlagen vor. Meine Co-Trainer müssen einiges aushalten.

Wenn wir über Aufstellungen sprechen, höre ich mir ihre Gedanken dazu an, entscheide trotzdem final allein. Sie akzeptieren das, tragen jede Entscheidung mit. Auch wenn sie vielleicht nicht derselben Meinung waren, sind sie es ab dem Moment, in dem ein Entschluss getroffen wurde. Loyalität ist die Stärke eines jeden Co-Trainers. Dafür empfinde ich nichts als Bewunderung und Dankbarkeit.

Ein Co-Trainer ermöglicht es dem Chefcoach erst, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Nur mit ihm an seiner Seite kann ein Trainer seine Leistung bringen. Ein Co-Trainer ist Sparringspartner während eines Spiels, Seelsorger danach, Euphoriebremse und Motivator. Meine Co-Trainer halten mir den Rücken frei, vor und nach dem Spiel, während des Trainings. Sie zaudern nicht, sie sind nie beleidigt. Sie halten alles aus und sind immer da.

Ich vertraue ihnen und sie vertrauen mir. Wie viel Stärke mir das bringt, wird mir immer wieder in kleinen Momenten bewusst. Dann, wenn ich mich nur auf das Eine konzentrieren kann, weil sie sich um das Andere kümmern. Ohne Co-Trainer bin ich nichts. Ich werde dafür immer dankbar sein. Danke ,Michi! Danke, Marco!

Social media & sharing icons powered by UltimatelySocial