Ein persönlicher Saisonrückblick, ein Estrella und ganz viel Erleichterung

Jan-Hendrik Schmidt, Trainer Niendorfer TSV 3. Herren, jubelt mit Heino-Gerstenberg-Pokal.

Während die Abendsonne Mallorcas auf mich nieder scheint und das dritte Estrella Galicia meine Kehle kühlt, komme ich endlich dazu, die vergangene Saison Revue passieren zu lassen. Am Ende überwiegt trotz insgesamt vieler Emotionen die Erleichterung. Die Erleichterung, nach vielen Jahren mal wieder etwas gewonnen zu haben, etwas in den Händen halten zu können, eine neue Erinnerung für die Mannschaft und sich selbst geschaffen zu haben.

Es sind nur noch wenige Minuten auf der Uhr. Das Herz pumpt im rasenden Tempo Blut durch den gesamten Körper. 2:1 ist der Spielstand, der Gegner schmeißt noch mal alles nach vorne, die Bälle fliegen in den Strafraum. Dann pfeift der sehr gute Schiedsrichter das Finale um den Heino-Gerstenberg-Pokal endlich ab. Ich renne aufs Feld, etwas wie ein Pferd im Galopp, für meine Verhältnisse schnell und doch gewohnt schlaksig. Ich laufe Richtung erster Jubeltraube. Es ist vollbracht. Für diese junge Mannschaft der erste gemeinsame Titel, für die scheidenden Alten, und die weiter machenden Älteren der erste Triumph seit neun Jahren. Ein unglaubliches Gefühl, das sich schnell mit dem Spielfilm von 16 gemeinsamen Jahren mit eben jenen scheidenden Weggefährten mischt. Als ich die beiden gefunden habe, laufen die Tränen, bei allen. Was für eine Reise. Dankbarkeit, Wehmut, Traurigkeit, Liebe folgen auf Glück, Erleichterung und Stolz. Was für eine Cocktail an unterschiedlichen Emotionen in nur wenigen Sekunden.

Endlich wieder eine normale Saison

Es war der Schlusspunkt einer intensiven Saison, der ersten „normalen“ nach einem Jahr reduzierter Staffel-Größe und zwei Jahren Corona-Abbrüchen. Eine Saison, die sich aber auch genau so angefühlt hat, wie sie sein sollte – normal. Jede Woche Wettkampf, kein zerstückelter Spielplan, keine ständigen Pausen. Immer weiter. Eine Saison, die mit dem in Summe bestmöglichen Ergebnis geendet ist.

In der Liga reichte es nach vielen Schwankungen in der Hinrunde und einer tollen Leistungs- und Ergebnissteigerung in der Rückserie zu Rang sechs. Besonders die Entwicklung innerhalb der zweiten Saisonhälfte hat mir gut gefallen. Nach großen Motivations- und Zeitproblemen in der Hinrunde habe ich mich selbst wieder fangen können, war wieder freier im Kopf, aufnahmefähiger für Inhalte. Ich denke, das hat sich ausgewirkt. Am Ende stinkt der Fisch immer vom Kopf (fünf Euro ins Phrasenschwein), und wenn der Trainer nicht am Limit agiert, tut es die Mannschaft auch nicht. Diesen Unterschied konnte man in dieser Saison sehr gut beobachten und es hat Spaß gemacht, einen gemeinsamen Weg einzuschlagen, der sichtbar ertragreich war.

Erleichterung ist die Emotion der Saison

Platz sechs in der Liga, Triumph im Pokalwettbewerb – aber warum ist Erleichterung nun die Emotionen der Saison? Ganz einfach: Weil es auch für mich immer noch eine besondere Situation ist, auf der einen Seite das sich durch Nachwuchs verändernde Private mit dem Fußballaufwand zu vereinen und auf der anderen einen seit einiger Zeit andauernden Umbruch so zu begleiten, dass die Mannschaft zukunftsfähig und wertetreu bleibt. Gerade letzeres wird durch das Schaffen neuer, gemeinsamer Erinnerungen wie einen solchen Erfolg erheblich erleichtert. Dazu kommt der Titel-Hunger nach neun Jahren ohne Erfolg auf dem Papier. Da hilft am Ende auch keine Entwicklung oder sonst etwas. Man will auch mal wieder etwas gewinnen, besonders, wenn man schon einmal oder zweimal oder wie oft auch immer in den Genuss davon gekommen ist.

Und so ist es dieses Gefühl von Erleichterung mit einer Prise Stolz, das mich überkommt, als meine beiden alten Kapitäne den Pokal gen Hamburger Himmel strecken und die Jungen im Gleichklang mitgrölen, ganz viel Wehmut und Liebe, als ich meine alten Weggefährten vor ihren Familien verabschieden darf und reichlich Lust auf weitere solcher Momente, als alle gemeinsam in einer rauschenden Nacht dafür sorgen, dass dieser Tag auch ganz sicher für immer allen im Gedächtnis bleiben wird.

Wieder Lust auf mehr

Mittlerweile läuft das vierte Estrella Galicia meinen Schlund hinunter und die Sommerpause samt Urlaub entfaltet die gesamte Wirkung. Ich habe Lust auf mehr. Lust auf den Trainingsstart, Lust auf neue Ausrüstung, Lust auf die ersten Spiele, Lust auf meine Jungs und ganz viel neue solcher Momente, die einem eben nur der Fußball geben kann.

Danke an dieser Stelle an Heinsi, Andreas, Yannik und Lars, an Henning und Tobi, an meine Kickbase-Jungs, an Benedikt und an alle, die mir durch das aufgebaute Netzwerk immer wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Weiter gehts!

Ein letzter Tanz

Wir waren Grundschüler, als du, der Nachbarsjunge, durch das Wohnzimmer meines Kumpels tobtest. Es war das erste Mal, dass ich dich habe Fußballspielen sehen. Nun bin ich dabei, wenn du es (vorerst) das letzte Mal tun wirst. Der Rahmen könnte passender nicht sein. Es ist ein Finale. An dem Ort, an dem wir gemeinsam vor neun Jahren den größten Erfolg unserer so langen gemeinsamen Zeit gefeiert haben. Warum ich das hier schreibe? Weil ich weiß, dass ich es in diesem Umfang nicht schaffen werde, wenn ich dich verabschiede.

Seit über einem Jahr denke ich darüber nach, was ich sagen könnte. Da hattest du das erste Mal dein Karriereende im Kopf. Aber du konntest noch nicht aufhören. Ein Jahr noch. Eines, in dem mir diese Gedanken immer wieder kamen, immer wieder mit Tränen in den Augen verbunden. Eines, das wir unbedingt in diesem Rahmen beenden wollten, der uns der kommende Samstag nun bietet.

Warum ist dieser Abschied so besonders? Seit 18 Jahren bist du an meiner Seite auf dem Fußballplatz. Als Mitspieler, als mein Kapitän, als verlängerter Arm, als ich nicht mehr konnte, als einer meiner besten Freunde. Du warst nie der Typ, der im Vordergrund stehen wollte, du warst nie der klassische Kapitän, aber du warst immer der Kapitän, den ich brauchte. Du hattest stets ein Gefühl für Situationen, wann du eingreifen, wann du laut werden musstest – und vor allem, wenn du mich bremsen oder mir kontra geben musstest.

Wir haben gemeinsam Spiele gewonnen. Das erste noch in der Schulmannschaft, im Herrenbereich das erste Mal auf dem Rasenplatz von Grün-Weiß Eimsbüttel. Den größten Sieg feierten wir 2014 an eben jenem Finalort, an den wir am Samstag zurückkehren werden. Wir haben auch Spiele verloren. Das erste im Finale um die Hamburger Schulmeisterschaft 2006, das erste im Herrenbereich in unserem allerersten Pokalspiel auf Asche beim FC St. Pauli am Heiligengeistfeld. Die schlimmsten Niederlagen aber folgten. Der lange Abstiegskampf im ersten Bezirksligajahr hat an uns genagt. Du warst immer da. Es ging nur gemeinsam. Am Ende mit gutem Ausgang.

Wir haben gefeiert, wir haben getrauert, wir sind durch die schlimmsten Momente gegangen, als Thorsten plötzlich nicht mehr da war. Aber auch durch die schönsten. Deine heutige Ehefrau kam dazu, wodurch ich meine kennenlernen konnte. Unsere Freundschaft wurde noch einmal enger. Wir haben unzählige Stunden über Fußball geredet, selbst als unsere Töchter auf die Welt kamen und sich der Fokus verschoben hat. Es kamen andere Themen. Themen, über die wir auch sprechen. Wir sind zusammen erwachsen geworden. All das, was ich mit Fußball verbinde, verbinde ich mit dir. Und mit deinem Abschied endet dieses großartige Kapitel endgültig. Angefangen als Hampelmänner, angekommen als Väter.

Dich gibt es seit Kleinkindertagen nur mit Fußball. Spielerpass seit 1996. Immer du und der Ball, immer zwei Tore, immer deine Jungs, immer derselbe Verein. Der größte Erfolg all dieser Zeit wird niemals ein Pokal oder ein Aufstieg sein können, sondern immer die vielen Freundschaften, diese tiefe Verbundenheit zu allen Beteiligten einer außergewöhnlichen Reise, diese ganzen Erinnerungen.

Aber lass uns noch einmal eine weitere Erinnerung hinzufügen, eine, die kaum würdiger für diesen Tag sein könnte. One Last Time, One Last Dance!

Danke, Henning!

Ich bin müde

Fußballtrainer Jan-Hendrik Schmidt gibt Anweisungen.
Die schlimmste Vorbereitung aller Zeiten: Von Müdigkeit, Hoffnungsschimmern und einem großen Wunsch

Die Idee hinter diesem Blog war immer, ehrlich zu sein. Einblicke zu geben in das tiefste meines Trainerdaseins. Deswegen werde ich es auch dieses Mal so handhaben. Am Samstag beginnt die neue Saison. Fünf Wochen Vorbereitung liegen hinter meiner Mannschaft und mir. Es war die schlimmste und vor allem demotivierendste Vorbereitung in meinen 15 Jahren als Trainer. Was nach vorigen, auch eher schleppenden Vorbereitungen noch im Verborgenen lag, kommt nun immer weiter an die Oberfläche. Mir fiel es noch nie so schwer, gegen Widerstände anzugehen wie in diesem Sommer. Ich bin müde.

Meine Mannschaft hat in den vergangenen Jahren ein anderes Gesicht bekommen. Zum einen gezwungenermaßen, um den Alterschnitt wettkampffähig zu halten, zum anderen, um sich auch auf dem Platz weiterzuentwickeln. Das Gerüst, das diesen Umbruch zuletzt getragen hat, wird kleiner. Corona hat das Zusammenwachsen zusätzlich ausgebremst. Das alles spielt sicherlich eine Rolle. Auch, dass sich der Fokus in meinem Leben verschiebt. Meine Tochter, meine Frau, der Job. Das ist der Lauf der Dinge. Zum Thema Trainer mit Kind werde ich auch noch mal etwas schreiben.

Gelernt, mit vielen Veränderungen umzugehen

Doch all das sind Dinge, mit denen ich persönlich klarkommen muss. Und das kann ich auch. Ich habe seit dem Jahreswechsel den sportlich wie privaten Umbruch eingeordnet, gelernt, wie ich alles unter einen Hut bekomme und dabei trotzdem auf ein hohes Level an Intensität komme.

Doch mit einer Sache scheine ich nicht klarzukommen – und das ist die Resonanz meiner Mannschaft. Ich merke, wie sehr ich darauf angewiesen bin, dass etwas zurückkommt. Das war immer so. Ich habe extrem viel investiert, und das sehr gerne. Aber ich habe auch immer viel bekommen. Das hat sich verändert. Schleichend. Zwei Jahre Pandemie haben ihren Anteil daran. Freizeit hat eine andere Relevanz bekommen. Freiheit, Freunde, Reisen, Party – all das hat an Bedeutung gewonnen. Fußball nicht. Daran kann ich mich nicht gewöhnen. Auch wenn die Rückrunde der vergangenen Saison Hoffnung gegeben hat, hat die Vorbereitung diese wieder genommen.

Meine Mannschaft war meine Freizeit, meine Freunde – zunächst auf dem Platz, und zwangsläufig immer mehr daneben. Das ging den meisten so. Über Jahre. Erst spielen, dann etwas zusammen unternehmen. Unausgesprochen war das jedes zweite Wochenende klar. Ja, hier ist mal einer im Urlaub, und klar, hier ist mal einer anderweitig verhindert. Aber in Summe war Fußball vor allem eins: wichtig.

Fußball scheint nicht mehr so wichtig

Das scheint es nicht mehr zu sein. Ich weiß von vielen Kollegen, dass sie ähnliche Erfahrungen machen. Das Problem habe ich nicht exklusiv. Das hilft mir – und doch wieder nicht. Die Müdigkeit nimmt zu. Jede Trainingsabsage reduziert meine Motivation. Vielleicht war es auch in vorigen Vorbereitungsphasen ähnlich, aber da hatte ich weder das Gefühl, dass die Probleme aus Gleichgültigkeit entstanden noch habe ich diese Müdigkeit verspürt.

Und dann gibt es sie doch wieder, diese Momente, in denen mein Körper, mein Geist brennen. Beim letzten Testspiel war es so. Da hat vieles geklappt, aber auch am Mittwochabend zum Beispiel als TV-Zuschauer. Als die deutschen Frauen nicht nur ein weiteres Mal begeisternd Fußball gespielt haben, sondern einmal mehr als unglaubliche Einheit aufgetreten sind, zusammen gefeiert haben. Auf dem Platz. In der Kabine. „Das will ich auch“, habe ich in dem Moment gedacht. Ich will, dass der eine sich für den anderen freut, dass jeder Bock darauf hat, ein gemeinsames Ziel zu erreichen: gewinnen!

Das muss nicht immer klappen, damit es Spaß macht. Man muss es nur spüren, aus allen Richtungen des Teams. Und wenn ich mit meiner Mannschaft gewinnen will, dann komme ich auch zum Training, plane das Wochenende nach meinen Spielen. Da will ich hin. Sportliche Weiterentwicklung? Erst einmal egal. Menschlichkeit, das ist mir wichtig.

Das Verlangen nach Resonanz und Begeisterung

Nicht falsch verstehen. Meine Mannschaft ist toll. Eine gute Mischung. Anders als früher, aber ein großartiger Haufen, der als Ganzes nur einfach noch nicht herausgefunden hat, wie geil gemeinsam gewinnen wollen ist.

Und dann kommt nach so einem Mittwochabend, der Donnerstagmorgen, der Vormittag, der Mittag. Trainingsabsagen. Gerade hat man sich hochgefahren, dann fährt man wieder herunter. Ich weiß: Als Trainer müsste ich mich davon freimachen. Kann ich aber nicht mehr. Das ist das, was ich mit ehrlich sein meine.

Hätte ich an diesem Donnerstag berufsbedingt nicht mit der großartigen Friederike Kromp (Trainerin der deutschen U17-Mädels) telefoniert, dann hätte ich mich zum Training nicht mehr zusammenraufen können. Ich kenne Fritzy schon etwas. Mit ihr über Fußball zu sprechen, ist einfach spannend. Ihre Begeisterung steckt an.

Ihr merkt den Roten Faden, oder? Resonanz. War ich früher alleine in der Lage, Begeisterung zu entwickeln, benötige ich heute häufiger ein begeisternden Gegenüber. Ist da auf der anderen Seite noch jemand, der dieses Spiel so liebt, dann bin ich direkt wieder da. Und das wünsche ich mir von einem Großteil meiner Spieler. Liebt dieses Spiel. Liebt die Lust auf Siege. Liebt die Person neben euch auf dem Platz. Das steckt jeden an, auch mich.

Das erste Punktspiel steht an

Jetzt geht es Samstag los. Kleiner Kader. Dieselben, die über fünf Wochen diese schwierige Vorbereitung gestemmt haben. Diejenigen, die seit einigen Einheiten ähnlich frustriert über die Situation sind wie ich. Dieser Haufen wird es richten. Ich habe Lust, es mit ihm zu wuppen. Und ich bin mir sicher, er hat es auch.

Elf Spieler reichen doch

Warum fallen so viele Amateurfußballspiele aus

Warum fallen so viele Amateurfußballspiele aus?

Um ein Fußballspiel zu spielen, braucht eine Mannschaft elf Spieler. Wenn noch zwei, drei Spieler auf der Bank sitzen, umso besser. Doch in Zeiten, in denen ein Corona-Verdachtsfall ausreicht, um ein Pflichtspiel abzusagen, scheint das mit den elf plus drei Spielern irgendwie nicht mehr ganz richtig zu sein. Zumindest müssen einige Mannschaften einen so kleinen Kader haben, dass sie kaum elf Mann zusammenbekommen am Wochenende. Reihenweise fallen Spiele in diesem Jahr aus, nicht selten sind es immer dieselben Mannschaften, die ihre Ansetzungen wieder absetzen lassen. Und da stellt sich mir dann schon die Frage, ob sich alle Vereine ihrer Verantwortung für ein Mindestmaß an Gesundheitsschutz auf der einen, und für den sportlichen Wettbewerb auf der anderen Seite bewusst sind?

Mir fällt es schwer, meine Gedanken dazu zu sortieren. So, dass auch klar wird, worauf ich hinaus will. Richtig ist, dass es innerhalb eines Teams immer wieder Corona-Fälle gibt und geben wird. Das ist besonders in dieser Rückrunde so. Die Frage ist nun nur, wie man als Mannschaft damit umgeht. Meldet sich ein Spieler nach einem positiven Test, schaue ich doch erst einmal, ob er gegebenenfalls ansteckend in der Kabine saß. Wenn unwahrscheinlich, ist alles in Ordnung. Wenn möglich, lasse ich die anderen Spieler zwei, drei Tage in Folge einen Test machen. Da in der Kabine nahezu immer Maske getragen wird, ist das Übertragungsrisiko dann schon noch sehr gering.

Der sportlich faire Wettbewerb sollte über allem stehen

Das scheint aber bei vielen anderen Mannschaften anders zu sein. Zumindest finde ich Aussagen von Verantwortlichen schwierig, wenn es heißt, es haben sich wohl wieder viele untereinander in der Kabine angesteckt. Da scheint es dann auch keinerlei Schutzmaßnahmen zu geben. Natürlich wollen alle wieder lange in der Kabine sitzen und beim Duschen mal ein Bierchen zusammen trinken, aber eigentlich wollen wir doch in erster Linie diese Saison vernünftig zu Ende spielen, oder? Sollte das nicht über allem stehen? Ein sportlich fairer Wettbewerb ohne Verzerrungen?

Wenn schon einige Nachholspiele auf dem Plan stehen, muss man vielleicht etwas mehr darauf achten, dass es keinen Ausbruch in der Kabine gibt. Denn nur ein solcher Ausbruch legitimiert meiner Meinung nach auch eine Spielabsage. Wenn es innerhalb einer Mannschaft Corona-Fälle gibt, bei denen die Ansteckung im privaten Rahmen stattgefunden hat und die nicht aufs Team übertragen wurde, sollte man trotzdem versuchen zu spielen, auch wenn man nur elf Spieler hat. Natürlich gibt es immer Ausnahmefälle, in denen auch in solchen Situationen Absagen gerechtfertigt sind wie zum Beispiel, wenn von den elf verbliebenen Spielern einige zuvor noch zwei Wochen wegen einer Infektion pausieren mussten und das Gesundheitsrisiko dann einfach zu groß ist.

Spielermangel gab es immer schon

Am schlimmsten finde ich es aber, wenn sich der Verdacht erhärtet, man ließe wegen eines Falls Spiele ausfallen, weil aus anderen Gründen wichtige Spieler fehlen, also wenn Teams diese ohnehin nicht so glückliche Regel auch noch bewusst ausnutzen. Auch wenn ich bei abstiegsbedrohten oder sich im Aufstiegskampf befindenen Teams ein ganz bisschen Verständnis habe, müsste man auch in anderen Jahren mit Ausfällen wichtiger Stammkräfte zurechtkommen. Das gehört dann nun mal dazu. Jetzt könnte man sagen, dass bei mehreren Corona-Ausfällen ein sportlich fairer Wettbewerb ja auch nicht mehr gegeben wäre. Aber das Argument zieht nicht, weil ja auch Verletzungspech oder andere Krankheitswellen in den vergangenen Jahren kein Grund für eine Absage waren. Die Verbände haben eigentlich auch sauber in den Spielordnungen geregelt, wann es wegen Spielermangel Absagen geben darf.

Keine Verdachtsfallregel in der neuen Saison

Auch bei uns gibt es immer mal wieder Corona-Fälle, ein Spiel abgesagt habe ich deshalb noch nicht. Eine gute Kommunikation innerhalb des Teams, ein Verantwortungsgefühl bei Spielern und Funktionsteam sowie der Anspruch, am Wochenende eben jene elf plus drei Spieler auf den Spielberichtsbogen zu schreiben, gepaart mit dem letzten bisschen Gesundheitsschutz durch Maske in der Kabine machen es möglich. Das scheinen andere aber anders zu handhaben. Die Auswirkungen für den sportlichen Wettbewerb sind enorm. Das nervt! Lasst es uns gut zu Ende bringen! In der neuen Saison gibt es die Verdachtsfallregel dann immerhin nicht mehr. Ich bin gespannt, wie es dann laufen wird.

Amateurfußball ohne Kabine ist kein Amateurfußball

Ohne Kabine macht der Amateurfußball weniger Spaß.

Das Training ist zu Ende, in kleinen Gruppen holen die Spieler kurz ihre Sachen aus der Kabine, wechseln schnell ihre Schuhe, ziehen eine Jacke über und ab geht es nach Hause. Nur zwei, drei von ihnen duschen noch eben. Nur zehn Minuten nach dem Training ist die Kabine bereits wieder so gut wie leer. Dasselbe Bild am Wochenede. Kein Siegerfoto, kein Duschbier – es muss schnell gehen, nur kleine Gruppen.

In der langen Fußballpause im vergangenen Winter hatte ich geglaubt, dass es nur darum ginge, schnellstmöglich wieder auf den Platz zu kommen und gegen die Kugel zu treten, Zeit mit seinen Teamkameraden zu verbringen. Das mag fürs erste ausreichen, wenn man zuvor wochenlang zu Hause hocken musste. Doch anders als vielleicht im Jugendfußball, bei dem es noch etwas mehr um den Sport, um eine Entwicklung auf dem Platz geht, findet Amateurfußball vor allem auch in der Kabine statt. Die Kabine ist die Seele einer jeden Mannschaft.

In der Kabine labert man Scheiße, trinkt sein Bier, jubelt über drei Punkte, hadert mit dem Gegentor in der letzten Minute. Hier klopfen sich Spieler auf die Schulter oder sagen sich die Meinung. In der Kabine entsteht der Geist, der Siegesserien beginnen lässt. Wegen der Kabine spielen viele überhaupt noch Fußball.

Die Sehnsucht nach dem Kabinen-Gefühl wächst

Dieses Gefühl fehlt. Über kurz oder lang wird dieses fehlende Gefühl weitere Spieler kosten, die sich eigentlich gern über Jahre hinweg nach einem anstrengenden Arbeitstag auf den Platz gequält haben, um die Jungs zu sehen. Es ist die Kabine, die einen den inneren Schweinehund überwinden lässt und nicht der runde Ball.

Ich wünsche mir eine Zeit, in der ich den Franzbrandwein wieder direkt in meine Nase ziehen lassen kann, in der ich sofort rieche, wenn jemand seine Stutzen nicht gewaschen hat, in der ich mit meinen Freunden an einem Donnerstag mit zwei Kisten Bier in der Kabine versacke und an Mallorca denke, in der das dritte Duschbier noch besser schmeckt und wärmer ist als das erste und zweite. Das ist die Leichtigkeit. Das ist für mich Amateurfußball.

Lässt Corona nichts Anderes zu?

Nicht falsch verstehen: Ich will nicht, dass alle Corona-Maßnahmen für den Amateursport abgeschafft werden. Vorsicht ist weiterhin wichtig. Ein Übertragung in der Kabine kann schließlich dafür sorgen, dass es nicht mal mehr auf den Platz gehen kann, weil sich zu viele Spieler anstecken. Doch könnte es nicht gerade für geimpfte und vor allem geboosterte Teams andere Regeln geben? Wenn Geboosterte als Kontaktpersonen eh nicht mehr in Quarantäne gehen müssen, so lange sie keine Symptome haben, sind doch Personenbegrenzungen obsolet, oder?

Für meine Mannschaft habe ich die Maskenpflicht als FFP2-Pflicht ausgelegt, obwohl eine medizinische Maske reichen würde. Ob ich jetzt mit sechs, neun oder 14 Spielern in der Kabine bin, wenn alle eine FFP2-Maske tragen, dürfte vermutlich keinen großen Unterschied machen. So könnte man zumindest mal eine Besprechung abhalten. Besonders vor dem Spiel gehört das unbedingt dazu. Zum einen, um sich auf Partie und Gegner einzustellen, zum anderen, um sich heiß zu machen. Fällt das weg, wabert so ein latenter Testspiel-Modus durch die Truppe.

Was bringt es also, wenn der Ball zwar rollt, aber sich nach der Saison wieder ein paar mehr Spieler dafür entscheiden, mit dem Kicken aufzuhören, weil es nicht mehr so ist wie früher? Und so stelle ich für mich fest, dass es im Amateurfußball eben nicht mehr nur darum geht, um jeden Preis zu kicken. Weil das auf Dauer ohne Seele ist. Weil das auf Dauer beliebig ist.

Irgendwann ist Corona weg und die Kabine wieder da

Doch bei all dem Ärger, all der Verzweiflung: Am Ende bleibt einem nichts Anderes übrig, als die Stimmung hochzuhalten, das Beste daraus zu machen, die Vorzüge des gemeinsamen Sporttreibens herauszustellen und irgendwie zu hoffen, dass die Kabine, die Seele des Amateurfußballs, bald wieder zurückkehrt. Ich habe schließlich Lust auf ein Duschbier.

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