Ein letztes Mal

Jungs, ein letztes Mal werden wir gemeinsam auf dem Trainingsplatz stehen. Ein letztes Mal werden wir gemeinsam ein Punktspiel bestreiten. Nach 14 Jahren endet für die meisten von euch eure Zeit im Jugendfußball. Mit einer kurzen Unterbrechung sind wir diesen Weg immer zusammen gegangen.

Bei unserem ersten Training damals auf dem glühend heißen Gummiplatz in der hintersten Ecke unserer Sportanlage konnten sich die meisten von euch noch nicht alleine die Schuhe zubinden. Beständig den Ball zu treffen, fiel euch damals schon erheblich leichter, obwohl ihr kaum doppelt so groß wie das Spielgerät wart. Aus einem Training wurden tausende Einheiten, auf das erste Spiel im Modus Vier gegen Vier folgten hunderte weitere. Erst Sieben gegen Sieben, dann Neun gegen Neun, und endlich Elf gegen Elf. Wir waren zusammen an den unterschiedlichsten Orten, um dort gemeinsam Fußball zu spielen.

Ihr wurdet eingeschult, viele von euch an derselben Schule. Freundschaften, die auf dem Sportplatz entstanden, hatten auch darüber hinaus Bestand und wie wir jetzt wissen, nennt ihr dieselben Jungs auch heute noch eure Freunde, die damals zusammen mit euch gegen den ersten Ball getreten haben. Was gibt es im Leben Wertvolleres als das?

Die Zeit verging. Ihr wurdet älter. Neue Spieler kamen dazu und damit auch neue Freunde. Staffelmeisterschaften reihten sich aneinander, unvergessliche Erlebnisse auf Turnieren in Hannover und Berlin könnt ihr zu euren Abenteuern zählen. Wir haben gegen Finnen, Tschechen, Spanier und Italiener gespielt, den Nachwuchs vom FC Sevilla im Finale spielen sehen. Und auch in der Halle wurden wir von allen respektiert. Wir standen so oft in der Endrunde um die Hallenmeisterschaft und sind so oft so knapp daran vorbeigeschrammt.

Umgeworfen hat uns aber nie etwas. Erinnert ihr euch noch an das U13-Halbfinale um die Hamburger Meisterschaft auf dem Feld gegen St. Pauli? 0:3 stand es zur Pause. Einen geknickten Haufen Zwölf- und Dreizehnjähriger musste ich wieder aufrichten – und plötzlich stand es 3:3. Ihr habt gelernt, dass im Fußball alles möglich ist und auch habt ihr erfahren, dass dieser Sport für den ein oder anderen Grenzen hat. Diese Grenzen habe ich für mich ebenfalls erfahren.

Beruf und Fußballtrainer im Jugendbereich sind nicht immer mit voller Energie zu vereinen. So habe ich eure Entwicklung in neue Hände gelegt und habe keine Sekunde gezögert, als mich diese Hände nach anderthalb Jahren Pause um Unterstützung gebeten haben. Viele Gesichter waren neu, viele von diesen neuen Gesichtern werden bald gemeinsam mit den vielen alten ein letztes Mal auf dem Platz stehen. Und viele weitere Gesichter, die einst Teil dieser Gemeinschaft waren, werden euch dabei zusehen.

Im Laufe der Jahre wurden eure Stimmen tiefer, eure Schultern breiter und euer Selbstbewusstsein größer. In der Schule wurde es stressiger. Jetzt haben die meisten von euch ihr Abitur abgeschlossen. Es sind diejenigen, die einst auf dem Gummiplatz den Ball auf ein Stahltor geschossen haben.

Wenn ich sehe, wie viele Freundschaften untereinander in den vergangenen Jahren entstanden sind, macht mich das unheimlich stolz. Das ist größer als jedes Finale, größer als jeder Sieg, größer als jedes Tor. Mit einem meiner engsten Freunde stand ich selbst vor vielen, vielen Jahren das erste Mal auf einem Fußballplatz, und noch heute steht er an meiner Seite und ich an seiner.

Ja, es hat in diesem Jahrgang 2001 nie mit dem ganz großen Wurf geklappt und das wurmt mich genauso wie euch. Aber ihr werdet euch immer daran erinnern, mit wem ihr diese Erfahrungen geteilt habt. Nach der Sommerpause werdet ihr neue Wege gehen. Ein Teil gemeinsam mit mir bei den Herren, einige werden neue Herausforderungen suchen, andere werden sich Studium, Ausbildung oder Ausland widmen. In wenigen Tagen aber stehen wir erst einmal wieder zusammen auf dem Platz. Es wird das letzte Mal sein – meine kleinen Brüder und ich.

„Ein Trainer ist nicht ein Idiot!“

Bayern-Trainer Niko Kovac (Foto: Thorgen Huter)
Wie das image des fußballtrainers in der vergangenen Bundesligasaison beschädigt wurde

Die Saison im Profifußball ist vorbei. Bayern München ist wieder Deutscher Meister und der HSV weiterhin nicht erstklassig. Alles beim Alten also? Nein. In der vergangenen Spielzeit haben die deutschen Profiklubs einmal mehr Trainer verschlissen und teilweise sogar öffentlich an den Pranger gestellt. Neu ist aber, dass auch Erfolg vor Entlassung nicht schützt. Ein Warnschuss, der in der öffentlichen Debatte leider nur von den Trainern selbst erhört wird. Giovanni Trapattoni mahnte schon damals: „Ein Trainer ist nicht ein Idiot!“ Blicken wir auf Auffälligkeiten rund um die Trainerposition in der Bundesligasaison 2018/19 zurück.

Nico Kovac: Als Pokalsieger kam er zum FC Bayern München und musste wie schon einige vor ihm in die großen Fußstapfen von Jupp Heynckes treten. Kein leichtes Erbe, wie in den ersten Monaten seiner Amtszeit zu sehen war. Sportlich zeigte sich der Rekordmeister anfällig wie lange nicht und schnell wurde Kovac zur Zielscheibe – ob durch die Medien oder sogar durch die Frau von Thomas Müller. Doch Kovac ließ sich von den Nebenkriegsschauplätzen der alternden Stars nicht beirren, startete in der Rückrunde eine phänomenale Aufholjagd und wurde am Ende verdient Deutscher Meister. Das Verrückte: Genau in dem Moment, als Kovac auf der Welle des Erfolgs surfte, rissen ihm die Bayern-Bosse kurz vor dem finalen Spieltag das Brett unter den Füßen weg und stellten seinen Verbleib öffentlich infrage. Vielleicht war es Taktik, um einem möglichen Scheitern am Ende der Saison vorzubeugen. Doch, wie kann es sein, dass ein Trainer, der eine vermeintlich satte und alternde Bayern-Elf trotz neun Punkten Rückstand und reichlich Gegenwind doch noch zum Titel führt, so wenig Vertrauen genießt? Ja, in der Champions League hat Kovac gezeigt, dass er vielleicht noch etwas Zeit braucht, um auch auf diesem Niveau ein Top-Trainer zu sein, aber er hat allemal bewiesen, dass er das Zeug dazu hat, dass er eine Mannschaft voller Stars führen und überzeugen kann. Er strahlt mit seiner Außendarstellung und seiner klaren Sprache Stärke aus und liefert am Ende eben auch die geforderten Ergebnisse. Die Sehnsucht nach dem erneuten Champions League-Titel haben auch Pep Guardiola und Jupp Heynckes (in seinem letzten Jahr) nicht erfüllt. Vielleicht wollten die Bayern-Bosse ja auch ein wenig von ihren Versäumnissen ablenken. Unterm Strich war der nicht optimal zusammengestellte und wohl satte Kader nicht in der Lage mehr zu leisten. Kovac hat indes eine weitere Chance verdient, sich in diesem schwierigen und erfolgsverwöhnten Klub zu beweisen – und das vor allem mit vollstem Vertrauen seitens der Entscheidungsträger.

Dieter Hecking: Der erfahrene Trainer hat die abstiegsbedrohte Borussia aus Mönchengladbach im Winter 2016 übernommen und sie auf Anhieb in sichere Gefilde geführt. Platz 6 in der Rückrundentabelle 2016/17 ist der entsprechende Beleg. Genau dieselbe Platzierung erreichte die Elf vom Niederrhein auch in der Hinrunde der Folgesaison, ließ dann in der Rückrunde aber etwas Federn. Ein stabiler Platz 9 war das Endergebnis. Hecking zeigte in dieser Saison dann eindrucksvoll, dass mit den Fohlen mehr zu holen ist und steuerte lange Zeit Richtung Champions League, bis seine Mannschaft im Frühjahr 2019 in ein Leistungstief fiel. Als die Bosse dann sein Ausscheiden – trotz Vertrages – zum Saisonende bekanntgaben, schien der Schritt fast verständlich. Doch Hecking und die Borussia bekamen noch einmal die Kurve und erreichten am Ende einen starken 5. Platz und damit die erstmalige Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb seit der Saison 2015/16. Eine beeindruckende Leistung für einen guten aber eben auch nicht sehr guten Kader. Auch hier muss ein Trainer gehen, der eine Mannschaft, die auch schon schwierige Zeiten erlebt hat, solide und ruhig geführt hat und mit diesem Stil auch erfolgreich war. Zeit gab man ihm mal wieder keine. Auch hier muss die Frage gestellt werden, inwiefern ein Austauschen vor Vertragsende nötig war. Hecking war es übrigens auch, der in seiner letzten Pressekonferenz den Zeigefinger hob und vor einer zu hohen Austauschbarkeit des Trainers warnte. Er hat damit ein Thema abermals auf den Tisch gebracht, das dringend intensiver diskutiert werden muss. Dazu später mehr.

Bruno Labbadia: Der Wolfsburger Trainer ist leiderprobt wie kaum ein anderer. Besonders seine zweite Amtszeit beim HSV hat sein Image in der Öffentlichkeit nachhaltig negativ geprägt. Heute weiß man, dass sehr wahrscheinlich weniger er als der HSV etwas dafür konnte. Als der VfL Wolfsburg im Endspurt der vergangenen Saison Labbadias Retter-Qualitäten in Anspruch nahm, hätte ihm wohl niemand zugetraut, dass er nur ein Jahr später mit den Wölfen in den Europapokal einziehen würde. Was für eine Leistung! Schließlich drohte man in der Autostadt, sich dem HSV nach zwei Relegationen und einer chaotischen Führung anzuschließen. Pustekuchen! Bruno sei Dank – oder eben auch nicht. Denn auch Labbadia, der Wolfsburg so stark hat auftreten lassen wie ewig nicht, muss am Ende der Saison seinen Platz räumen. Ehrenvoll hat er diesen Entschluss zwar selbst gefasst, aber auch nur, weil der vermeintlich bewusst gewählte Eierkurs der Vereinsführung jegliche Art von Vertrauen für ihn unmöglich machte. Auch hier hat ein Trainer trotz nachweislichen Erfolgs keine Zukunft.

Julian Nagelsmann: Beim jungen Coach aus Hoffenheim ist die Situation etwas anders und seine Erwähnung in diesem Text auch anders zu begründen. In seinem Fall ist eine andere Unart, die im Profifußball immer mehr zur Mode wird, zu beobachten. Die Spieler suchen sich ein Alibi. Stürmer Andrej Kramaric hatte jüngst die häufigen taktischen Umstellungen während des Spiels kritisiert und moniert, das überfordere die Mannschaft. Ganz unabhängig davon, dass es natürlich möglich ist, dass taktische Inhalte Spieler überfordern können, kreiert ein Profifußballer hier ein Alibi für die sportlichen Versäumnisse derer, die auf dem Platz stehen. Wer sich TSG-Spiele in dieser Saison angeschaut hat, wird gesehen haben, dass nicht nur unzählige Führungen verspielt wurden, sondern dass vor allem auch individuelle Fehler dazu geführt haben. Dies einem Trainer anzulasten, wäre schon äußerst verquer. Durch seine Äußerungen aber bringt Kramaric eine Diskussion ins Rollen, die nachhaltig dem Trainer schaden kann und den Spielern eben jenes Alibi schafft.

Friedhelm Funkel: Die Nachricht erzürnte wohl ganz Fußball-Deutschland. Friedhelm Funkel bekommt keinen neuen Vertrag. Zu diesem Zeitpunkt überraschte Fortuna Düsseldorf gerade die ganze Liga, sammelte mehr Punkte, als jemals für möglich gehalten und goss gerade das Fundament für den Klassenerhalt. Völlig überrumpelt vom Echo der Fußballwelt ruderten die Bosse der Fortuna reumütig mit ihrer Entscheidung zurück und verknüpften Funkels Vertragsverlängerung mit dem Klassenerhalt – etwas, was der Trainer ohnehin angeboten hatte. Auch hier waren eitle Entscheidungsträger nicht in der Lage, einem erfolgreichen Trainer den Rücken zu stärken und ihm zu vertrauen. Dass sich Funkel schon damals dieses Vertrauen verdient hätte, zeigt die Bestätigung der Leistung seiner Mannschaft über die gesamte Saison hinweg.

Schalke, Augsburg, Stuttgart, Hannover, Nürnberg: Alle Vereine wechselten in der vergangenen Saison den Trainer – Stuttgart sogar doppelt – und keiner dieser Klubs war damit großartig erfolgreicher als vorher. Bei Schalke und in Augsburg den Klassenerhalt mit dem Trainerwechsel zu verknüpfen, wäre äußerst naiv. Sowohl S04 als auch der FCA profitierten von der schwachen Konkurrenz. Beide Trainerwechsel hatten keinen nachhaltigen Effekt. Noch signifikanter fällt dieses Fazit in Stuttgart, Hannover und Nürnberg aus. Überall wurde deutlich, dass die Probleme der Vereine vermeintlich hausgemacht und nicht allein in der Verantwortung der Trainer zu finden waren.

Sandro Schwarz: Für mich ist der Fall Mainz 05 das beste Beispiel dafür, wie sportliche Kontinuität nachhaltig zum Erfolg führen kann. In der vergangenen Saison steckte Mainz knietief im Abstiegssumpf und zog sich erst am Ende selbst heraus, ohne dabei einen Trainer zu verschleißen. Sandro Schwarz erhielt das Vertrauen der Klubführung sowohl im Abstiegskampf der Saison 2017/18 als auch in der am Wochenende zu Ende gegangenen Spielzeit und zeigte in dieser, dass die Entscheidung berechtigt war. Mainz hatte nie etwas mit dem Abstieg zu tun und spielte mit 43 Punkten eine sehr stabile Serie.

Fazit: Ich will mit dieser Auflistung nicht aussagen, dass Trainerwechsel per se falsch sind oder Trainer fern jeglicher sportlicher Verantwortung agieren, sondern nur, dass Trainerwechsel eben nicht per se richtig sein müssen. Auch die Annahme, dass nur ein Wechsel auf dieser wichtigen Position für Besserung sorgt, ist ein leider etablierter Irrglaube. Neue sportliche Reize zu setzen, ist natürlich ein legitimer und auch immer mal wieder notwendiger Vorgang des Geschäfts. Die Auswüchse dieser Hire-and-Fire-Mentalität nehmen nur immer weiter zu, machen neumodisch auch vor Erfolg nicht halt und sorgen nachhaltig für eine gewisse Willkür auf der Trainerposition und vor allem für ein schlechtes Image der Berufsgruppe. Diese Beliebigkeit täuscht meist nur über die Versäumnisse der Vereine hinweg und legt diese bei wiederholten Entlassungen letztlich auch nur offen. Fahriges Management, keine nachhaltige Philosophie, krampfhaftes Erfolgsverlangen oder eine schlechte Kaderzusammenstellung zählen zu den eigentlichen Verfehlungen, die eine große Hypothek für einen jeden Trainer darstellen können. Die öffentliche Diskussion, die Dieter Hecking, Bruno Labbadia und auch Thomas Doll vorantreiben, ist dringend notwendig, sollte nur ebenso dringend nicht nur einseitig geführt werden. Auch Spieler und Sportvorstände/Sportdirektoren sind hier gefragt, das Standing der Trainer wieder zu stärken und nicht für eigene Alibis zu sorgen. Mehr „Wir“ und weniger „Ich“ könnte da manchmal schon helfen, wenngleich das eine ziemlich romantische Vorstellung des Profifußballs sein mag. Aber genau diese Romantik ist schließlich das, was dem Business komplett abhanden gekommen zu sein scheint.

Vorbereitung, Konzentration, Handlungsoptionen – ein Trainer muss am Spieltag Leistung bringen

Wie eine gute Spielvorbereitung für die nötige spannung sorgt

Als der HSV am vergangenen Dienstag im Pokalhalbfinale gegen RB Leipzig spielte, hat mich ein Bild gefesselt und nicht mehr losgelassen. Es war eine Nahaufnahme von HSV-Trainer Hannes Wolf in der Phase nach dem 1:1. Diese maximale Anspannung bei gleichzeitiger Konzentration, der schnelle Pulsschlag, der leichte Schweißfilm auf der Haut – dieses Gefühl strengt zwar an, aber es macht dich unheimlich lebendig. Ihm war all das in dieser einen Szene anzusehen und er wird es genauso lieben wie ich.

Wenn ich mich auf ein Spiel vorbereite, begleitet mich die gesamte Trainingswoche hinweg eine gewisse Lockerheit. Die erste Anspannung, besonders vor Spielen gegen Gegner, die einen sportlich besonders herausfordern, kommt am Abend vor dem Anstoß. Diese Aufregung steigert sich nach dem Aufstehen. Wir spielen meist am frühen Mittag unsere Heimspiele und sind häufig die ersten am Platz. Ich bin immer besonders früh vor Ort, schließe die Kabine auf, lege meine Sachen ab und setze meine Kopfhörer auf. Volle Lautstärke. Matchday!

Alleine wandele ich über die Sportanlage, baue die Eckfahnen auf, kontrolliere die Netze und platziere die Hütchen für das Aufwärmprogramm auf dem Platz. Nebenbei summe ich jeden Song mit. Die Spannung steigt weiter, wenn ich die Kabine erneut betrete, die Taktikfolie an die Wand klebe und mit den Aufzeichnungen beginne. Standards, defensiv wie offensiv, und Kernelemente, die ich in dem Spiel von meiner Mannschaft erwarte, habe ich vorher in meinem Notizbuch vermerkt. Das gehört für mich zu einer guten Vorbereitung dazu. Wenn ich in den letzten Zügen an der Taktikfolie bin, kommen die ersten Spieler. Ich lege die Kopfhörer zur Seite und die Lockerheit kommt zurück. Durch meinen ritualisierten Ablauf bin ich von nun an endgültig im Spieltagsmodus. Das Aufwärmen leiten meine Co-Trainer. Manchmal setze ich mich dabei auf die Bank, manchmal bleibe ich in der Kabine, alleine mit der Musik aus der Anlage. Wenn die Mannschaft nach dem Aufwärmen in die Kabine kommt, bin ich unter Vollstrom. Nur so kommen auch die richtigen Worte kurz vor dem Anpfiff aus meinem Mund. Die Emotionen, die ich bei der Ansprache wecken will, sind immer ehrlich, nicht konstruiert. Wieso ich das erwähne? Weil es bei Spielen ohne dieses Ritual nicht einfach ist, diese Anspannung aufzubauen.

Die letzten lauten Worte, kollektives Klatschen und Schreien und es geht raus auf den Platz. Ich schreite langsam hinterher. An der Trainerbank angekommen, folgt nach der Seitenwahl noch der Kreis mit allen Beteiligten. Anstoß. Zeit gestoppt. Auf geht’s!

Von nun an bestimmt der Spielverlauf meinen Adrenalinpegel. Egal, wie hoch dieser ist, jetzt kommt es auf meine volle Konzentration an. Natürlich spielen die Spieler das Spiel, verteidigen, gewinnen Zweikämpfe und schießen die Tore, aber auch wir Trainer müssen unsere Leistung bringen. Was kann ich als Trainer von außen beeinflussen? Welcher Wechsel oder welche taktische Umstellung kann das Spiel positiv verändern? Diese Fragen muss ich mir 90 Minuten lang stellen, um der Mannschaft die Hilfestellung zu geben, die sie braucht. Wenn dein Plan funktioniert, deine Maßnahmen von der Mannschaft umgesetzt werden und ein vermeintlich besserer Gegner vor Probleme gestellt wird, mit denen er nicht gerechnet und auf die er keine Antwort parat hat, dann fühlst du genau das, wonach Hannes Wolf am vergangenen Dienstag im Pokalhalbfinale gegen RB Leipzig kurz nach dem 1:1 ausgesehen hat.

Der Trainer ist nicht der Depp

Zahlreiche enttäuschte Fans drängeln sich die Treppen aus dem B-Rang der Westribüne des Volksparkstadions hinunter. Der HSV hat sich gerade 1:1 von Erzgebirge Aue getrennt. Die Ernüchterung ist also nachvollziehbar. Mit offenen Ohren lausche ich dem ein oder anderem Fan-Gespräch, bis schließlich der Satz fällt, der mich wütend macht: „Der Trainer macht so viele Fehler. Er ist nicht mehr tragbar“, sagt ein aufgebrachter HSV-Fan zu seinem Kumpel, der ihm bestätigend zunickt. Was als eine Meinung im Beton-Bauch des Volksparkstadions geäußert wird, wächst und gedeiht wie ein lästiges Magengeschwür und wird wahrscheinlich bald die öffentliche Meinung prägen können.

Ich finde dieses Trainer-Bashing unmöglich. Natürlich trägt der Trainer die sportliche Verantwortung und muss sich auch berechtigterweise unangenehme Fragen gefallen lassen. Er ist aber nicht dafür verantwortlich, dass einige seiner Spieler den Ball nicht stoppen können oder einen Pass über fünf Meter nicht an den Mann bringen. Der HSV in seiner aktuellen Situation steht aber nicht im Zentrum dieses Beitrags, vielmehr geht es um den öffentlichen ausgestreckten Mittelfinger Richtung Trainer-Gilde, der ohne Skrupel an Häufigkeit zunimmt.

Heute morgen habe ich einen Artikel im Kicker gelesen. Es geht um Bruno Labbadia, der wieder einmal angenehm klar Partei für seine Zunft ergreift und etwas sagt, dass sich sofort in mein Hirn gebrannt hat. Vereine müssen sich frei machen von der öffentlichen Meinung. Auch den Spielern tue es nicht gut, wenn die Autorität ihres Trainers im Misserfolg so schnell angegriffen werde, weil das automatisch dazu führe, dass sie relativ schnell eine Ausrede bekämen.

Wunderbar zu erkennen sind diese Phänomene aktuell in der Bundesliga bei Hannover 96, dem VfB Stuttgart und auch Schalke 04. Alle drei Vereine haben in dieser Saison den Trainer getauscht und bei allen drei Klubs hat sich kein positiver Effekt eingestellt. Es kann nicht immer nur der Trainer sein, der an sportlicher Misere Schuld ist. Natürlich passt nicht jeder Spieler mit jedem Trainer zusammen, aber in der öffentlichen Diskussion erwischt es meist zu allererst den Trainer und nicht die Spieler.

Es wäre ratsam, Trainern mehr Zeit zu geben und nicht bei der ersten signifikanten Schwächephase seinen Kopf zu fordern. Auch daran können Trainer wachsen. Dieser Appell richtet sich vor allem an die Öffentlichkeit.

Der innere 18-Jährige

Oder: wenn eine Niederlage wieder so richtig schmerzt

Es ist dieser Moment, in der sich deine Gefühlslage an der Seitenlinie komplett verändert. Quasi mit dem Schlusspfiff schießt der Gegner noch ein Tor und deine innere Lava sprudelt an die Oberfläche. Frust, Wut, Trauer – alles vermengt sich miteinander und entlädt sich in einem Moment. Du weißt nicht, wohin, fragst noch mal beim Schiedsrichter nach, warum er wie entschieden hat, weißt aber gleichzeitig, dass es falsch ist, nichts bringt und vor allem nichts mehr verändert. Du setzt dich auf die Bank, allein, starrst auf den Platz, leicht geblendet vom grellen Flutlicht. Eigentlich willst du mit niemandem sprechen und gleichzeitig mit jedem Beteiligten noch mal das gesamte Spiel durchgehen. Niederlagen oder Unentschieden, die in letzter Sekunde entstehen, schmerzen unheimlich. Mit dieser Emotion im Moment selbst und auch in den Minuten, Stunden und Tagen danach umzugehen, ist eine Kunst. Wem Fußball, seine Spieler und sein Verein etwas bedeuten, leidet und muss lernen, mit diesem Leid umzugehen. Das ist ein Prozess.

Als 18-jähriger Trainer war ich dazu kaum in der Lage, hatte Emotionen, Wortwahl und Handlungen nicht immer im Griff. Dieser innere 18-Jährige begleitet einen fast die gesamte Zeit der Trainerlaufbahn und schaut immer mal wieder vorbei. Peinliches Schiedsrichter-Gepöbel, Sündenbock-Suche in den eigenen Reihen, Hasstirade auf den schlechten Untergrund – Ausreden finden ist leicht und mindert vielleicht in der ersten Phase nach der Niederlage die Wut, doch nachhaltig ist das nicht. Schlagt dem inneren 18-Jährigen die Tür vor der Nase zu.

Ich kann nur jedem empfehlen, sich direkt nach dem Spiel mit allem zurückzuhalten. Keine elendig langen Ansprachen im Kreis oder in der Kabine nach Abpfiff, keine Diskussionen mit Gegner und Schiedsrichter. Zieht euch kurz zurück, lasst es sacken, starrt ins Nichts und sucht gegebenenfalls sogar das Weite. In zweiter Instanz hilft ein Gespräch mit Co-Trainer, Kapitän oder anderen Führungsspielern – aber erst mit einem Sicherheitsabstand von ein bis zwei Stunden. Versucht nach einem Abendspiel nicht, direkt ins Bett zu gehen. Lest ein Buch, stöbert im Internet, schaut Fernsehen, bis ihr eure Augen nicht mehr aufhalten könnt. Am nächsten Tag geht die Sonne wieder auf und ihr seht das Spiel und alle Ereignisse deutlich klarer, objektiver und vor allem mit mehr Distanz. Diese Distanz ermöglicht erst eine sachliche Analyse. Denn nur diese bringt euch und eure Spieler weiter. Jeder der Verantwortung trägt, muss sich als erstes wieder aufrichten, Zuversicht ausstrahlen und mit Dingen, die geschehen und Vergangenheit sind, abschließen.

In schwachen, emotionalen Momenten vergesse ich all dies und der 18-Jährige schaut wieder vorbei. Das ärgert mich fast noch mehr, als der Misserfolg selbst. Erst denken, dann handeln. Selbstreflektion ist der Schlüssel, um ein gutes Vorbild zu sein. Nur so zieht ihr Spieler und Umfeld nachhaltig auf eure Seite und überzeugt von eurer Sache. Stärke zeigt sich nicht im Moment des Erfolgs, sondern in der dunkelsten Minute der Niederlage. Daraus ziehe ich die intensivste Art von Motivation.

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